Argifútbol bei Argentinien – Brasilien in Rosario

Am 5.September 2009 verliert die argentinische Selección mit 3:1 gegen die brasilianische Nationalmannschaft und bringt sich so in eine schwierige Ausgangsposition in der südamerikanischen Qualifikation. Argifutbol-Schreiberling Etienne war im Stadion und erzählt im folgenden Bericht von seinen Erlebnissen zwischen Dauercampern, Warteschlange und Pressetribüne:

„Es war der Traum vieler schlafloser Nächte: das Spiel der Spiele, Samba  vs. Tango, Rio de Janeiro vs. Buenos Aires,  Maradona vs. Pele, Messi vs. Kaka, das Gipfeltreffen des südamerikanischen Fußballs, mit einem Wort: Superclásico. Schon lange vorher hatte ich mit einer handvoll fußballbegeisterter Freunde aus aller Herren Länder einen Schlachtplan entwickelt,  um an Karten zu kommen…“

Argentinien - Brasilien: Ewige Rivalen
Argentinien – Brasilien: Ewige Rivalen

Die Sache war totsicher: 24 Stunden vor Vorverkaufsbeginn würde sich einer von uns in der Schlange vor dem Luna Park für die erste Wache postieren, dann würde im Fünf-Stunden-Rhythmus frei nach Ottmar Hitzfeld rotiert. Kurz bevor die Kassen öffnen sollten, würden wir dann mit der kompletten Einheit dazustoßen und locker unsere Schäfchen ins Trockene bringen. Doch dann kam alles anders ,  und es musste ja ausgerechnet Rosario sein, wo El Diego Maradona seine Mannschaft um die wichtigen Punkte für die Qualifikation ins Rennen schicken wollte. Komplizierter für uns, aber kein Grund,  den Kopf in den Sand zu stecken…

Schnell war eine Taskforce aus zehn Spezialisten zusammengestellt: die  kühnsten Taktiker und fittesten Athleten aus Argentinien, Irland, Amerika, England und Australien machten sich am Dienstag vor dem Spiel auf, um mindestens jeweils eins der begehrten Tickets zu ergattern. Ich musste aus arbeitstechnischen Gründen in Buenos Aires bleiben, hatte mich aber klugerweise bei einem englischen Freund mit Beteiligung an der Hälfte der Reisekosten eingekauft,  und somit immer noch ein Eisen im Feuer. Der Mann hat breite Schultern und ist ein Kämpfer, dachte ich, der würde das Kind schon schaukeln.

Der grenzenlose Optimismus wurde erstmals getrübt, als die argentinischen

Camping vor dem Stadion
Camping vor dem Stadion

Medien kurz vor Öffnung der Kassen davon berichteten, dass einige besonders motivierte Kollegen bereits drei Tage vor Anfang des Verkaufs ihre Zelte (!) vor dem Gigante de Arroyito aufgeschlagen hatten. Von zeltenden Fans hatte ich nichts mehr gehört, seit damals George Lucas` Episode I Scharen von Comic-Freunden aus ihren Kinderzimmern auf die Straßen vor den örtlichen Lichtspielhäusern gelockt hatte. Die Sache sah gar nicht gut aus. Hoffentlich würde es sich wenigstens lohnen, denn auch die Krieg der Sterne-Freunde hatten letztendlich Hayden Christiansen als Darth Vader bekommen. So etwas sollte uns nicht passieren.

Per Telefon hielt ich ständigen Kontakt mit der Gruppe und erhielt eine Hiobsbotschaft nach der anderen: die Companeros waren zwar schon fünf

Politik und Fußball: Maradona mit Cristina und Nestor Kirchner
Politik und Fußball: Maradona mit Cristina und Nestor Kirchner

Stunden vor Highnoon am Stadion, doch lagen circa zehn Blocks (ca. 1 Kilometer) Schlange vor ihnen , und was noch schlimmer war: der argentinische Fußballverband AFA hatte kurzfristig beschlossen, statt der versprochenen 12 000 Tribünentickets nur 5.500 in den freien Verkauf zu geben. Was mit den anderen Eintrittskarten passieren würde, darüber konnte nur spekuliert werden, doch einige Tage vorher hatte AFA Boss Don Julio Grondona einen millionenschweren Vertrag mit der Regierung abgeschlossen, der dem Staat die Übertragungsrechte für den lokalen Fußball in den nächsten zehn Jahren sicherte. Es darf fröhlich spekuliert werden…

Für uns, die wir nur bedingt unsere Finger in der Politik haben, waren das schlechte Nachrichten, und die bösen Vorahnungen sollten sich bewahrheiten: schon nach zwei Stunden waren die billigsten Plateas ausverkauft, ein paar Stunden später ging auch bei der zweitteuersten Kategorie nichts mehr, und als ich bei meiner englischen Hoffnung anrief, teilte die mir mit, dass sie die Segel gestrichen und schon wieder auf dem Rückweg nach Buenos Aires wäre. Das war traurig, aber wirklich übelnehmen konnte ich es ihm nicht. Letztenendes hatte er die Situation genau richtig eingeschätzt, denn auch die restlichen neun Standhaften blieben am Ende ohne Karten. Ein Trauerspiel.

Die geschlagenen Helden kehrten nach Buenos Aires zurück, und beim donnerstäglichen 5 vs 5 Fußballspiel in San Telmo reichten sich Wut und Verzweiflung die Hand: Hasstiraden gegen die AFA vermischten sich mit soziopolitischen Analysen über eine argentinische Gesellschaft,  in der reiche Geschäftsleute Obdachlose dafür bezahlen,  im Rennen um ein Ticket tagelang für sie Schlange zu stehen.

Ein besonders fanatischer amerikanischer Freund hatte eigens seinen Rückflug in die Heimat verlegt, um zum Spiel der Spiele zu gehen. Es war zum Verzweifeln, doch noch gab ich die Hoffnung nicht auf: via Adressbuch, E-Mail, Myspace, Facebook und Twitter rief ich meine Freunde dazu auf,  mir doch bitte ein Ticket für das Spiel zu organisieren, wo doch in Argentinien immer irgendwer irgendwen kennt, der irgendwen kennt, der über einen Freund die so sehnlich erwünschte Eintrittskarte klarmachen könnte. Es meldete sich jedoch niemand, und langsam machte sich dann doch die unausweichliche Resignation breit. Es würde wohl wieder eines dieser typischen Wochenenden in Argentiniens Hauptstadt werden, in denen man im Laufe der Nacht irgendwann bei einem Fernet Branca mit Cola mit einem Einheimischen darüber diskutiert,  ob Serrizuela Völler im Finale 1990 nun berührt hat oder Tante Käthe aus freien Stücken tiefgeflogen ist.

Argentinisches Nationalgetränk
Argentinisches Nationalgetränk

Und tatsächlich war es auch an jenem Freitag ähnlich: zwar wollte mir ein voller Gaucho diesmal weismachen, dass die Deutschen grundsätzlich nichts vom Fußball verstünden, aber grundsätzlich war es mal wieder the same procedure as üblich. Da erreichte mich der Anruf meines Freundes Miguel, mit dem ich schon oft diverse argentinische Canchas bereist hatte. Auch Miky hatte ich natürlich als erstes um Karten angehauen, und tatsächlich war auf den alten Haudegen doch noch Verlass: „Ich habe einen Freund,  der bei einem großen argentinischen Sportsender arbeitet, der kann dich kurzfristig noch akkreditieren, sei morgen um ein Uhr in Avellaneda, er holt dich dann ab, und ihr fahrt zusammen nach Rosario!“  Guter Mann! Es würde also doch noch geschehen: Argentinien – Brasilien, mit mir…

Am nächsten morgen ging es leicht verkatert – schließlich konnte man das ja nicht ahnen –  auf den Weg in die Provinz: zu Fuß bis zum Colectivo 10 in

Linea 10 nach Avellaneda
Linea 10 nach Avellaneda

Montevideo und Santa Fe, von da durch San Telmo, La Boca und Barracas, über die Puente Pueyerredon nach Avellaneda. Vor der Geschäftsstelle von Independiente, neben Racing der größte Club der Gegend, setzte ich mich auf die Treppenstufen und wartete. Noch konnte ich meinem Glück nicht wirklich trauen, zu oft waren solche Verabredungen in letzter Sekunde doch noch schief gegangen,  und zu weit war ich schon vom Superclásico entfernt gewesen. Doch meine Skepsis war diesmal unangebracht, denn mit obligatorischer halbstündiger Verspätung tauchte mein Kontaktmann auf und bat mich in seinen schwarzen Ford Ka.

Nun sind Argentinier sehr gesellige Menschen, und so hatte mein neuer Freund acht seiner Kumpels nach Rosario eingeladen, die allerdings ohne Karten und nur der legendären Rosarinas wegen den beschwerlichen Weg auf sich nahmen. In Kolonne ging es dann zwei Stunden später in Argentiniens drittgrößte Stadt. Um 19.45, knapp eineinhalb Stunden vor Spielbeginn, kamen wir am Gigante de Arroyito an und waren listos für die Wiederauferstehung der Maradona- Elf in der WM- Qualifikation.

Pflichtfoto
Das Pflichtfoto

Mit uns fieberte das ausverkaufte Stadion dem Spiel entgegen. Diegos Hoffnung auf ein heißere Atmosphäre als die, die  das mit zahlungskräftigen Touristen überfüllte Estadio Monumental in Buenos Aires zuletzt geboten hatte, schien aufzugehen. Ob man wollte oder nicht, die Euphorie, die die Blauweißen mit großer Mühe durch zuletzt durchweg unterirdische Leistungen immer mehr zunichte gemacht hatten,  kam wieder und knisterte im ganzen Stadion. Auch auf der Pressetribüne, wo ich mich, als weitestgehend kameraloser Kameramann akkrediert, herumtrieb, war die Spannung zu spüren. Das mag vielleicht auch daran gelegen haben, dass circa 80 Prozent der vermeintlichen Journalisten ihre Presseausweise für teures Geld verkauft hatten und vom Gewinn mit der Familie eine Woche nach Punta del Este gefahren waren.

Nach dem Spiel - Sieger und Verlierer
Nach dem Spiel: Gewinner und Verlierer

Die Erwartung war riesig, doch was folgte, war eine riesige Enttäuschung: die Selección legt gut los und setzt die Brasilianer unter Druck, dann verliert Heinze Luisao bei einer Standardsituation aus den Augen, und der Verteidiger köpft zum 0:1 ein. Argentinien versucht danach irgendwie zum Ausgleich zu kommen, ist allerdings ideenlos, und Brasil nutzt seine wenigen Chancen eiskalt aus. Besonders Sevillas Luis Fabiano ist gut aufgelegt und erzielt zwei Tore. Am Ende steht es 3:1 für die Selecao. Die Mannen von Carlos Dunga qualifizieren sich vorzeitig für die Weltmeisterschaft in Südafrika und aus dem Gästeblock spotten die Brasileros über Argentiniens Maximo Idolo Diego Maradona. Höchststrafe für die Gauchos und ein sportlicher Offenbarungseid der Albiceleste.

Vier Tage später geht auch das Auswärtsspiel in Paraguay verloren, und Argentinien muss jetzt ernsthaft um seinen Platz in der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika bangen. Das ist traurig für den Argentinier und verwunderlich für Otto Normalverbraucher. Lebt man aber als Otto Normalverbraucher in Argentinien, bekommt es eine gewisse Logik. Sei es, wie es sei, der Superclásico 2009 und besonders mein so typisch südamerikanischer Weg dorthin, waren eine einmalige Erfahrung und haben ihren Platz im Trophäenschrank meiner Fußballerinnerungen sicher.

2 Antworten zu “Argifútbol bei Argentinien – Brasilien in Rosario

  1. Ein sehr interessanter Bericht! Das wäre mein Traum einmal Brasilien gegen Argentinien in Südamerika zu gucken. Gratuliere!

  2. Sehr interessanter Erlebnisbericht!!! Die ticketbeschaffung ist dort ganz schön turbulent und abenteuerlich …. Ich glaube dir gerne, dieses Spiel war ganz sicher ein unvergessliches Erlebnis! (trotz Niederlage…)
    Wenn du Vorort bist und in Buenos Aires zu Live Spielen gehst, vielleicht kannst du ab und zu mal so einen kleinen Erlebnisbericht dazu schreiben!? Ich finde so etwas immer interessant!

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