Auftrag Maracanazo

„Am besten platzieren sie einen Helikopter am Spielfeldrand, dann können sie sofort flüchten, sobald das Endspiel gewonnen ist“, sagt Stürmerlegende Hernán Crespo mit stolzem Lächeln und verschmitzen Blick. Der ehemalige Weltklassestürmer trägt sein Herz auf der Zunge und spricht aus, was 40 Millionen Argentinier denken: „Wir wollen endlich wieder den Titel holen! Am liebsten im Finale gegen den Erzrivalen Brasilien.“ Markante Worte, wie man es aus dem Land des zweifachen Weltmeisters gewohnt ist. Die Albiceleste um Superstar Lionel Messi ist heiss und hat einen klaren Auftrag: Maracanazo, der Finalsieg im altehrwürdigen Estádio do Maracanã

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Am kommenden Montag startet die Albiceleste gegen Bosnien-Herzegowina in die 20. Auflage der Fußball-Weltmeisterschaft. Ganz Argentinien wird für die nächsten vier Wochen gebannt und euphorisch zum großen Nachbarn rüberblicken und darauf hoffen, dass Überfußballer Messi sie zum lang ersehnten Titel schießt. Mit der Unterstützung von Superstars wie Kun Agüero, Dí María, Higuain und Mascherano soll der viermalige Weltfussballer, der mit seinen 26 Jahren alle Vereinspokale der Welt bereits (mehrfach) gewonnen hat und in Barcelona einen Rekord nach dem nächsten aufstellt, endlich mit seinem Heimatland Argentinien einen Titel gewinnen. Die größten Baustellen: Hält die nicht immer sattelfeste Hintermannschaft? Und warum hat Argentinien eigentlich keinen richtigen Torhüter?

 

Der Kader: Viel Erfahrung auf der Bank

Bildschirmfoto 2014-06-10 um 23.10.31Mit 28.4 Jahren schickt Argentinien den ältesten Kader aller Teilnehmer (vor Portugal 28.2 und Uruguay/Spanien 28.0) zur Weltmeisterschaft nach Brasilien. Die Ältesten unter ihnen sind Hugo Campagnaro, Martín Demichelis und Maxi Rodríguez (alle 33). Der Jüngste ist Linksverteidiger Marcos Rojo (24, Sporting Lissabon). Der Alterschnitt wird aber vorrangig von den Bankspielern nach oben getrieben, die Faustregel bei der Albiceleste lautet: Je jünger, desto größer die Einsatzchance.

So setzt Sabella mit Sergio Romero auf den Jüngsten der drei Schlussmänner Argentiniens und von den nominell sieben Verteidigern werden voraussichtlich die vier Jüngsten – Rojo, Garay, Fernandez, Zabaleta – in der Anfangsformation stehen. Im Angriff sieht es genauso aus: Das magische Trio Messi, Agüero und Higuain (alle 26) sind von den nominell fünf Angreifern die drei Jüngsten. Nur im Mittelfeld geht die Rechnung nicht ganz auf: Der Älteste, Maxi Rodriguez, wird wahrscheinlich kein Kandidat für die Startelf sein, neben den gesetzten Dí María (26) und Mascherano (30, sofern dieser im Mittelfeld eingesetzt wird), wird wohl Fernando Gago (28) neben Masche auflaufen. Der jüngste Mittelfeldspieler ist Inters Offensivschwungrad Ricardo Alvarez (26).

 

Argentiniens Stürmer beherrschen Europa

Danach ging es schnell: Kun Agüero vollendete nach einer tollen Ballstafette zum 2-0 (75.).

Ob Messi, Agüero, Higuain oder Palacio – sie gehören zu den treffsichersten Stürmern der Welt. Superstar Messi spielte trotz aller kritischen Stimmen ein überragendes Jahr, erzielte 28 Tore in 31 Primera Division Spielen, traf zudem acht mal in sieben Champions-League Begegnungen und fünfmal in sechs Copa del Rey Spielen. Eine unglaubliche Statistik, die nur durch das Monsterjahr von Cristiano Ronaldo (insgesamt 51Tore) übertrumpft wurde.

Messis bester Kumpel, Kun Agüero, spielte seine bisher beste Saison bei Manchester City. Jedoch hätte es für den heiß begehrten Angreifer sogar noch besser laufen können. El Kun laborierte an diversen Verletzungen an Wade, Knie und Oberschenkel, die den quirligen Mittelstürmer insgesamt drei Monate Spielpause kosteten. Trotz der körperlichen Rückschläge feierte Kun mit den Citizens den zweiten Meistertitel nach 2011/12 und brachte es wettbewerbsübergreifend auf insgesamt 28 Tore und 14 Vorlagen in 34 Spielen.

Sieben der 23 Nominierten spielen in Italiens Serie A, darunter die Torjäger Gonzalo Higuaín und Rodrigo Palacio. Die beiden Stürmer konkurrieren um den begehrten Startelfplatz an der Seite von Agüero und Messi. Pipita Higuain, eingefleischter Millonario, hat dabei die besseren Karten im Vergleich zu Palacio, dem ehemaligen Publikumsliebling der Boca Juniors. Während Palacio seit Jahren zu den gefährlichsten Stürmern der Serie A zählt, wusste auch Napolis “Neuzugang“ Higuaín (kam im Sommer 2013 für 37 Mio von Real Madrid) sofort zu überzeugen. Beide lieferten sich in der Liga ein Kopf an Kopf Rennen und kamen jeweils auf 17 Tore und sieben Vorlagen. Zwei Tore mehr erzielte der von Sabella nicht nominierte Carlitos Tévez vom Meister Juventus Turin. Noch treffsicherer zeigten sich nur der Ex-Bayern Legionär Luca Toni (20) und BVB-Neuzugang Ciro Immobile (22).

 

Die Aussortierten

Quelle: ole.com.ar

Quelle: ole.com.ar

Als Alejandro Sabella den endgültigen 23er-WM Kader bekannt gab, wunderten sich nicht nur die Experten. Wo ist Éver Banega? Der Rosarino, dicker Kumpel von Leo Messi, war im Januar extra zurück in die argentinische Liga gewechselt, um sich vor den Augen Sabellas für das Turnier zu empfehlen. Jedoch wusste er bei Newells nur selten zu überzeugen, mangelnde Fitness aufgrund diverser Verletzungen bremsten den Mittelfeldspieler immer wieder aus. Obwohl Banega acht Mal in der WM-Qualifikation zum Einsatz kam, berief Sabella an dessen Stelle Enzo Pérez, seinen ehemaligen Zögling aus gemeinsamen Zeiten bei Estudiantes de La Plata. Eine dicke Überraschung!

Auch Ex-Bayer José Sosa, spanischer Meister mit Atlético Madrid, wurde nicht berücksichtigt. Bei Atleti kam der vielseitige Mittelfeldspieler über eine Reservistenrolle nicht hinaus und wurde ebenso wie Nicolás Otamendi (3 WM Spiele in Südafrika) nicht nominiert.

Die Nichtnominierung von Carlos Tévez hingegen hatte sich bereits lange abgezeichnet. Ungeachtet der sportlichen Qualität von Apache Tévez, gehört der Torjäger bereits seit 2011 nicht mehr zum Kader der Albiceleste. Zwar gilt Tévez bei den Gauchos als absoluter Publikumsliebling, jedoch ist Sabella kein Freund des heißblütigen Angreifers, der von seiner Spielweise auch nicht zu Superstar Messi passt.

 

Die Taktik:

Sabella setzt auf ein 4-2-3-1: Viererkette, Doppelsechs und vier Offensive, wobei Dí María sich fallen lässt und das Bindeglied zwischen Mittelfeld und Angriff bildet. Sind alle fit und in entsprechender Form, sieht die Startaufstellung folgendermaßen aus:

Romero – Zabaleta, Garay, Fernández, Rojo – Mascherano, Gago – Dí María, Messi, Agüero – Higuaín

Die Kollegen von goal.com haben im November 2012 Argentiniens taktische Aufstellung einmal genauer unter die Lupe genommen. Hier geht’s zum Link. 

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Je nach Gegner und Spielstand wäre es durchaus möglich, dass Sabella auf ein modifiziertes 3-4-3 ausweicht.

 

Tor:  Wie schon bei der WM 2010 in Südafrika wird Chiquito Romero das Tor der Albiceleste hüten. Damals spielte Romero beim AZ Alkmaar und galt als Schlussmann mit großer Zukunft. Nach durchwachsenen Leistungen bei Alkmaar wechselte Romero 2011 zum damaligen Zweitligist Sampdoria Genua, schaffte den Aufstieg und wurde letzten Sommer für ein Jahr nach Monaco verliehen. Dort konnte sich Romero nicht gegen Kroatiens Nationaltorwart Subasic durchsetzen und kam lediglich in drei Ligaspielen und im Pokal zum Einsatz.

In Argentiniens Nationalmannschaft verbreitet neben dem hochkarätigen Sturm eben diese Problematik höchste Gefahr. Romero fehlt zwar die Spielpraxis und womöglich auch die nötige Qualität, jedoch vertraut Trainer Sabella seinem Schlussmann mangels echter Alternativen, denn Mariano Andújar (Catania) und Agustín Orion (Boca Juniors) sind kein Stück besser.

 

Abwehr: Nicht nur die Torwartfrage bereitet Kopfschmerzen, sondern auch die Abwehr. In Anbetracht der schlimmen individuellen wie kollektiven Abwehr-Schnitzer, Fehlpässe und mangelnder Spieleröffnung tut sich die Mannschaft schwer, seine überragenden Offensivstars in Szene zu setzen, die wiederum nicht durch übermäßige Rückwärtsbewegung auffallen. Sabella hat dieses Problem frühzeitig erkannt und konnte der gesamten Mannschaft zumindest ein wenig mehr Disziplin und Abwehrarbeit beibringen.

Trotzdem fehlt es dem Abwehrverbund insgesamt an der nötigen Klasse. Sehnsüchtig erinnert man sich an Verteidiger wie Zanetti, Ayala, Samuel oder Milito. Denn neben Abwehrchef Ezequiel Garay, der angeblich vom FC Bayern München umworben wird, entspricht nur ManCitys Pablo Zabaleta höchsten Ansprüchen. Sein Pendant auf links, Marcos Rojo ist zwar talentiert und spielt solide, gilt aber als Wackelkandidat. In seinen bisherigen Stationen (Estudiantes, Spartak Moskau, Sporting Lissabon) konnte er sich bisher nicht dauerhaft auf höchstem Niveau messen, allerdings verfügt Sabella auf dieser Position auch über keine wirkliche Alternative.

Hart umkämpft ist zudem die Position neben Innenverteidiger Garay. Neapels Fernández hat beste Karten auf einen Stammplatz, doch auch der wiedererstarkte Demichelis oder Monterreys Kapitän Basanta sowie Inters Campagnaro könnten dort verteidigen. Eine weitere Option wäre, Mascherano als Innenverteidiger agieren zu lassen, eine Aufgabe, die er bei Barca oft ausfüllt.

 

Mittelfeld: Im Zentralen Mittelfeld wird der Platz neben Javier Mascherano wohl an den in der Liga formschwachen und verletzungsanfälligen Fernando Gago gehen. Trotz seiner enttäuschenden Auftritte bei Valencia, Vélez oder aktuell Boca spielt Gago im Kreis der Albiceleste meist groß auf und harmoniert prächtig mit den vier Offensivakteuren vor ihm. Mit Enzo Pérez und Lucas Biglia hat Sabella auf dieser Position zwei eher bescheidende Alternativen.

 

Angriff: Die vier Offensivpositionen stellen sich fast von selbst auf. Messi, Agüero und Dí María sind gesetzt. Pipita Higuaín, zuletzt angeschlagen, gilt als erster Kandidat für die vorderste Front. Auch möglich, dass Rodrigo Palacio hier zum Zuge kommt. Mit Maxi Rodriguez, Pocho Lavezzi (Paris St. Germain) und Ricky Alvarez (Inter Mailand) hat Sabella hochkarätige Optionen auf der Bank.

 

Aussicht

Argentinien hat womöglich die einfachste aller Vorrundengruppen zugelost bekommen. Alles andere als das Erreichen des Achtelfinales würde einer Sensation gleichkommen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Argentinien als Gruppenerster den Zweiten der Gruppe E (Frankreich, Schweiz, Ecuador, Honduras) empfängt. Anschließend könnte es zum dritten Mal in Folge im Viertelfinale zum Duell gegen die DFB-Auswahl kommen, falls diese Gruppenzweiter wird und sich beide überhaupt für das Viertelfinale qualifizieren. Um nicht noch mehr in die Glaskugel zu blicken, halten wir uns an die nächsten drei Termine:

 

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Text: Andreas Geipel

9 Antworten zu “Auftrag Maracanazo

  1. Jens -> Jorge Luis

    Sehr schöner Beitrag!!! So Jungs, und jetzt, da die WM beginnt, werde ich mich nach meinem einstigen Lieblingsspieler umbenennen, in Jorge Luis. Ich denke ihr werdet erraten, wen ich meine.

  2. top beitrag….schön alles aufgebröselt…und analysiert…gibt eigentlich nichts hinzuzufügen !!! besten dank

  3. Ist definitiv ein Kandidat auf den Titel, aber die Abwehr ist meiner Meinung nach zu schwerfällig und hat kein europäisches Topniveau. Nichtsdestotrotz würde ich mir wünschen, dass Argentinien(wenn es denn nicht Deutschland wird) Weltmeister im Maracana wird. Von daher: Dale, Dale Argentina 😉

  4. Pingback: Abschlusstraining « ARGENTINISCHES TAGEBUCH

  5. Vielen Dank an Andreas für den tollen Bericht/Artikel zur Albiceleste und die Einschätzung der WM-Chancen. Lediglich bei der Torhüter-Position hätte man darauf hinweisen können, dass es da ja noch Willy Caballero gibt, den Sabella – warum auch immer – nicht als Nummer 1 will/wollte.

    In wenigen Stunden geht’s also los: Die Fahne wurde bereits ausgepackt, ein Trikot aus der großen Sammlung ausgewählt und das Bier liegt griffbereit im Kühlschrank!

    ¡Vamos, muchachos!

    PS: @Jens: Natürlich wissen wir alle ganz genau, wen du meinst. 😉

  6. Jens -> Jorge Luis

    Hej, Jungs, was ist, hats euch die Sprache verschlagen?

  7. Hallo zusammen,

    nein, Jens, mir hat die WM natürlich nicht die Sprache verschlagen. Ich wollte eigentlich nach der Vorrunde hier schon mal etwas schreiben. Aber nachdem es für unsere Jungs im Turnier stets weiterging, hatte ich den Gedanken, dass es vielleicht in gewisser Weise Glück bringt (wir sind ja abergläubig), wenn hier vorerst niemand Beiträge verfasst.

    Nun ist die WM vorbei…und wir stehen erneut mit leeren Händen da. Ich hatte während der WM intensiv das argentinische Tagebuch von Christoph Wesemann verfolgt und finde nicht nur seinen verfassten Artikel nach dem Finale absolut lesenswert:

    http://argentinisches-tagebuch.de/besser-als-zirkus-messi

    Darunter habe ich auch einen Kommentar mit meiner kurzen Einschätzung abgegeben.

    Kopf hoch, Jungs! Wir kommen wieder…versprochen!

    Viele Grüße in die Runde

    André

  8. Ja, mit dem Beitragschreiben ging es mir genauso, also diese Abergläubigkeit bei uns Fußballfans ist doch schon eine recht seltsame Sache 🙂
    Den Titel haben wir leider nicht gewonnen, aber mit einigem Abstand betrachtet, muss man doch sagen, das das Erreichen des Finales auch schon ein großer Erfolg ist. Vor allem wurde endlich mal wieder der Halbfinalfluch gebrochen.
    Ja, Bati, entgegen allen Erwartungen waren es diesmal vor allem die Abwehr, mit den überragenden Garay und Rojo, sowie der zuvor oft (und auch zu Recht) geschmähte Romero. Aber was dessen Leistung angeht, hatte ich irgendwie schon so eine Vorahnung, denn in einem meiner Beiträge habe ich geschrieben: Aber vielleicht überrascht uns Romero ja auch mal im positiven Sinne. 1990 hat Bilardo auch auf einen Torwart gebaut der fast ein Jahr keine Spielpraxis hatte, und nachdem sich Pumpido schon im ersten Spiel verletzt hat, musste er ran und hat uns zweimal das Elferschießen (gegen Jugoslawien und Italien) mit je 2 gehaltenen Elfern gerettet.“
    Leider hat es bei den „Fantastischen Vier“ da vorne nicht geklappt, die Vielzahl an Verletzungen mit denen sich die Jungs vor und während der WM herumgeplagt haben, waren offensichtlich zu viel. Das ist sehr schade.
    Übrigens spielen wir am 3.9. schon wieder gegen Deutschland, in Düsseldorf. Dann aber ohne Lahm, der hat gerade seinen Rücktritt erklärt.

  9. Frage an alle Argentinien-Spezialisten. Die Saison hat nun ja wieder angefangen. Mindestens in der Primera B Nacional hat der Modus gewechselt. Wie sieht denn der Modus konkret aus? Haben wir hier einen Spezialisten? Muchas gracias.

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