Nachfolgend nochmal Viktor`s Epos zu den argentinischen Fangesängen. Alle auf einem Blick.
Argifutbol stellt Fangesänge vor, Teil I: „… mein guter Freund“
„Wir hatten schon mehrfach eine ausführliche Story zu den argentinischen Fangesängen angekündigt, sind aber durch den unendlichen Fundus überwältigt, so dass wir nun wöchentlich einen Gesang vorstellen wollen. Singende Fans im deutschsprachigen Raum: Geniesst es, erzählt es weiter und schaut regelmäßig vorbei bei Argifutbol!
Um dem Start dieser Rubrik eine gewisse Chronologie zu verleihen, beginnen wir mit dem Gesang, der von den meisten Fans beim Einlaufen ihrer Mannschaft gesungen wird:
„xxx mi buen amigo,
esta campaña volveremos a estar contigo!
Te alentaremos de corazón,
esta es la hinchada que te quiere ver campeón!
No me importa lo que digan,
no que digan lo demas!
Yo te sigo a todas partes,
cada vez te quiero más!“
Auf deutsch würde sich dies in etwa so lesen:
„xxx mein guter Freund,
dieses Jahr werden wir wieder bei dir sein!
Wir unterstützen dich vom Herzen,
das sind die Fans, die dich als Meister sehen wollen!
Mir ist egal was gesagt wird,
was alle anderen sagen!
Ich folge dir überall hin,
Jedes mal liebe ich dich mehr!“
Sobald sich vermuten lässt, dass die Lieblingself das Feld betrifft, schmettern auch gelegentliche Stadiongänger textsicher diesen Klassiker. Nicht nur bei den fünf Großen Boca, River, Independiente, Racing und San Lorenzo ist dieser Hit die Eye of the Tiger-mäßige Einlaufmusik, wenngleich manche Hinchadas personalisierte Textbausteine einstimmen. River singt: „Mir sind die Fotos egal, die die Polizei knipst“ und Racing zielt mit Desinteresse auf den großen Rivalen Independiente, wie auch Newells‘ Fans gegen Central.
Schön ist in Argentinien, dass die Mannschaften immer getrennt kurz hintereinander das Spielfeld betreten, so dass auch Auswärtsfans (wie hier Chacarita bei Rosario Central) die Möglichkeit gegeben wird, ihren guten Freund zu begrüßen.
In einer linguistischen Diskursanalyse wäre vielleicht der fliessende Wechsel vom Plural in den Singular in diesem Gesang interessant. Deutlich fesselnder ist allerdings der Anstieg des Lautstärkepegels, wenn nach Minuten dieses Liedes dann endlich wirklich die Mannschaften das Spielfeld betreten, sehr schön hier im Finale der Copa Libertadores 2009 bei Estudiantes. Natürlich ist dieser Hit auch in unteren Ligen angesagt, auch wenn keine Meisterschaft in Aussicht steht (Talleres aus Cordoba).
Einige Hinchadas gönnen sich sogar eine B-Seite dieses ersten Stücks in Argifutbols Plattenkiste. So singt Independiente alternativ sehr emotional:
“ Roter, ich verfolge dich,
du bist das Blut, das mich am Leben hält!
jeden Sonntag komme ich, um dich zu sehen,
Mir ist egal ob wir gewinnen, ich werde zurück kommen!
Um mit der Seele zu schreien,
dass ich dich wirklich liebe,
niemals werde ich dich verlassen.“
In Zeiten, als Youtube noch nicht alles dokumentieren konnte, gab es (meist von Huracán) einen alternativen Gesang zu dieser Melodie, der das damals neue Stadion von San Lorenzo auf den Arm nahm:
„Cuervo, vos sos amargo,
en tu cancha encontré un supermercado!
Con los carritos rojo y azul,
y un cartél que me decía Carrefour!
[…]“
Dieser Sprechchor zielte auf die peinliche Tatsache ab, dass San Lorenzo sein ursprüngliches Stadion in Mitten von Buenos Aires aufgab und das Gelände an die französische Supermarktkette Carrefour veräußerte. Aber leider konnten wir kein Video zu diesem amüsanten Chant im Internet finden.
Ach so, natürlich werden die argentinischen Stadiongesänge in ganz Lateinamerika kopiert. Aber wer sich zum Beispiel mexikanische Fangesänge anhört (Chivas aus Guadalajara), wird schnell feststellen, dass scheinbar nur die argentinischen Stadiongänger, derart melodisch ihre Teams unterstützen.
Argifutbol stellt Fangesänge vor, Teil II: Wer ist diese Raquel?
Nachdem wir in der letzten Woche als ersten Chartbreaker einen Tribünenklassiker vorstellten, dessen ursprüngliche Melodie uns nicht bekannt ist, präsentieren wir diesmal ein Lied, das sich auch außerhalb der argentinischen Stadien großer Beliebtheit erfreut.
Betrachtet man die Kartei der den Fangesängen zu Grunde liegenden Liedern, so lassen sich vielleicht drei primäre Musikstile kategorisieren: argentinische Cumbia (Villera oder Romantica), Rock argentino oder Gitarren-lastige Liedermachersongs und Ska-Reggae-Mestizo-Pop der 90er Jahre. Letzteres Genre begrenzt sich eigentlich auf zwei äußerst erfolgreiche argentinische Bands: Los Fabulosos Cadillacs und Los Auténticos Decadentes, die beide auch über die Landesgrenzen hinaus wahrhaftige Popstars sind. Ihre Schmuse-, Tanz- oder Grölhits inspirierten die argentinischen Hinchadas zu einigen der beliebtesten und immernoch präsentesten Stadionliedern.
Besonders bei Los Auténticos Decadentes (LAD) war es seit etwa Mitte der 90er Teil des Image, das viele Lieder der Murga, ein von Percussions geprägter Tanzstils des Karnevals, sich in verschiedener Form umgedichtet auf den Tribünen wiederfanden.
Vielleicht der erste Hit war „Vení Raquel“*, in dem die schöne Raquel mit der ganzen Clique angebaggert wird, weil sie sich mit den muchachos doch so arg amüsieren könnte. Nach Aussage der LAD-Mitglieder waren es die Fans von Racing, die erstmals diese Melodie auf die Tribüne übertrugen. Der bekannste Chant ist wohl den Boca Juniors zuzuschreiben, in dem sie über ihren Erzfeind River Plate lästern:
„Las Gallinas son asi,
son las amargas de la Argentina.
Cuando no salen campeón,
estas tribunas estan vacias.
Yo soy de Boca senor,
cantemos todos con alegría.
Aunque no salgas campeón,
el sentimiento no se termina.
Y dale Bo… y dale dale Boca…[…]“
Auf Deutsch könnte man dies wie folgt wiedergeben:
„Die Hühnchen sie einfach so,
Sie sind die Verbittersten aus Argentinien.
Wenn sie nicht Meister werden,
sind diese Tribünen leer.
Ich bin von Boca mein Herr,
Lasst uns alle mit Freude singen.
Auch wenn du nicht Meister wirst,
dieses Gefühl ist unendlich.
Und auf gehts Bo…[…]“
Schade ist hier vielleicht, dass die Xeneizes den gesamten Refrain von „Vení Raquel“ sehr Einsicht interpretieren. Denn gerade dieser Part lädt mit seiner langgezogenen Endzeile die gesamte Kurve ein, mit in den Gesang einzusteigen. Auch die Trommeln und Rasseln kommen mit voller Energie zum Chorus zurück, wie man es schön bei den Fans des 5.Ligisten (!) Ituzaingó aus dem Westen des Großraums Buenos Aires beobachten kann.
Bei diesem standardisierten Text wird meist dem größten Rivalen ‚Verbittertheit‘ zugeschrieben und dass man diesem im Idealfall umbringen möchte. So singt auch Banfield gegenüber Lanús oder, wenn auch in diesem Video wenig engagiert mit einem Refrain wie bei Boca , el decano Atlético Tucumán gegen den Erzfeind San Martín.
Die Fans von Newell’s singen zur Melodie von „Vení Raquel“ gewohnt kreativ, dass sie schon oft genug ‚ihre Eier‘ bewiesen und sogar die Wagen der Polizei abgebrannt haben.
Independiente gönnt sich auch hier zwei Versionen. Eine auf River Plate eingeschossene, die auch den reduzierten Refrain liefert und bis dahin so klingt:
„River vos sos un cagón,
Avellaneda vos te da miedo.
Vamos a venir si venís,
como nosotros al gallinero.[…]“
Auf deutsch:
„River du bist ein Angsthase,
Avellaneda macht dir Angst.
Mal sehen, ob du kommst,
so wie wir in deinen Hühnerstall![…]“
Die weitere Version von Independiente ist die längste uns bekannte Stadionvariante von „Vení Raquel“, denn sie übernimmt musikalisch genau die Struktur der ersten Strophe bis zum Refrain und attackiert dabei Racing, River und zuletzt Boca.
Natürlich werden auch im lateinamerikanischen Ausland die Lieder von Los Auténticos Decadentes von zahlreichen Fankurven gesungen. Vor allem in Mexiko erfreuen sich LAD noch immer unbegrenzter Beliebtheit; hier übernehmen die Fans von Pumas fast wortgenau den Gesang von Boca und greifen damit ihren Rivalen América an.
Die wenigen großen, aber besonders einfallsreichen Fangruppen in Uruguay unterscheiden sich häufig kaum von ihren Nachbarn in Argentinien, wenngleich die Fans von Penarol einen eigenen Text zu diesem Lied haben.
Die Anhänger von Racing, die wohl die ersten waren, die die schöne Raquel mit auf die Tribüne schleppten, schmettern zusätzlich ein anderes Lied, welches phasenweise dem hier vorgestellten Hit zum verwechseln ähnelt. Auch wenn es wunderschön ist, wie sie hier den Nachbarn Independiente und sein (vermeintlich von Julio Grondona finanzierten) Stadion aufs Korn nehmen, handelt es sich dabei um ein anderes Lied der Popgeschichte: „Como me voy a olvidar“, übrigens auch von Los Auténticos Decadentes.
*Auf YouTube sind nur Live-Videos von Los Auténticos Decadentes verfügbar. Wer sich zum besseren Verständnis die Studioversionen anhören möchte, kann dies auf Simfy tun.
Argifutbol stellt Fangesänge vor, Teil III: Lutscher, La Bamba und Bonnie Tyler
In der letzten Woche stellten wir hier den (Stadion)hit „Vení Raquel“ von der Band Los Auténticos Decadentes vor. In Zukunft werden wir uns sicherlich noch weitere Male mit argentinischer Musik beschäftigen, wollen heute aber mal einen Blick über den Tellerrand hinaus wagen. Welche internationalen Popsongs schafften es auf die buntesten und lautesten Tribünen der Welt?
Es fällt insgesamt auf, dass während nationales Liedgut auf der Tribüne mit langen Texten und Strophen umgedichtet wird, die Interpretationen von nicht-argentinischen Liedern kürzer und knackiger sind.
Die brasilianische Sängerin Xuxa, die immerhin Liebesbeziehungen zu den Sportidolen ihres Landes Ayrton Senna und Pelé pflegte, veröffentlichte in den 80er Jahren einen Schlagerpartyhit, der vor allem in seiner spanischen Version noch auf jedem 15. Geburtstag zwischen Madrid und Santiago de Chile gesungen und gehüpft wird. Gesungen und gehüpft wird dessen Stadionversion in Argentinien immer mit viel Freude, um dennoch dem eigenen Team unvermeindlich klarzumachen, dass ein Sieg her muss. So tuen es die Fans von Los Andes aus Lomas de Zamora in der 3. Liga, gleich wie die Anhänger von Vélez Sársfield in der Primera División.
„Es la hora es la hora,
es la hora de ganar.
Ponga huevos xxx
que tenemos que ganar
y dale dale dale xxx oh oh oh […]“
Die Übersetzung:
„Es ist die Stunde, es ist die Stunde.
Es ist Stunde, um zu gewinnen.
Zeigt mehr Eier xxx,
denn wir müssen gewinnen!
Auf gehts xxx… […]“
Die Fans von Boca zeigen sich etwas aggressiver gegenüber ihrer Mannschaft und singen ab der dritten Zeile: „… si non ganan esta tarde, que quilombo se va a armar…“ („…wenn ihr heute Nachmittag nicht gewinnt, wird einiges los sein.“)
Ein weiterer Song aus Brasilien, der häufig auf argentinischen Tribünen zu hören ist, heisst „Mamae eu quero“ von Carmen Miranda und stammt immerhin aus dem Jahre 1940. Obwohl von einer Sängerin präsentiert, lebt das Lied von der Doppeldeutigkeit eines ‚Lutschers‘, den der männliche Protagonist quengelnd von seiner Mama (oder seinem Schätzchen?) fordert. Diese Interpretation brachte den Hit wohl auch auf den Soundtrack des 70er Jahre Softporno ‚Eis am Stiel‘…
Argentinische Fans drängen aber nicht auf Oralverkehr, sondern auf einen Sieg ihrer Mannschaft. Dieser vor Glückshormonen nur zu sprudende Chant wird meist mehr gekreischt als gesungen(hier Boca), wenn die eigene Mannschaft etwa Mitte der 2. Häfte in Führung liegt (River) und ein Erfolg absehbar ist (hier besingt San Lorenzo sein Stadtviertel Boedo). Dann fordern die Fans:
„Mama mama mama yo quiero ohohoh […]
que gane xxx, todo el ano es carnaval!“
Zusammenfassend reicht hier zu übersetzen, dass man die Mutter anbettelt, der liebste Verein solle doch gewinnen, damit das ganze Jahr Karnevalsstimmung herrsche. Es ist ein Lied, das sich nicht lange hält, denn nach einigen Wiederholungen überschlagen sich verschiedene Gesangsgruppen auf der Tribüne im Tempo (Racing). Es sei denn, man hat eine starke Orchestertruppe (Independiente), die den Takt auch über eine schwächere Phase hinaus rettet.
Ein hundertmal kopierter Latino-Partyhit, der auch häufig auf Festen in Deutschland läuft ist „La Bamba“ vom chicano Ritchie Valens. Racings Fans haben dieses Stück adaptiert und singen, dass man, um zu Racing kommen, verrückt sein muss.
Die Fans der Academia haben ebenfalls Wind of Change von The Scorpions übernommen und beschimpfen darin Boca als botón, ein Begriff aus dem lunfardo-Jargón in Buenos Aires, der einen Polizeispitzel bezeichnet.
Da in den Gesängen der Barra Bravas Kriminalität häufig tematisiert wird ist die Beschimpfung botón (was im übrigen Spanisch nichts anderes als ‚Knopf‘ heisst) sehr präsent. Zur Melodie des 80er Jahre Hit Karma Chameleon von Boy George singen viele argentinische Fans mit wenig Text gegen ihren großen Rivalen so zum Bespiel Independiente gegen Racing.
Wenn wir über die Achtziger reden, kommen wir an Bonnie Tyler nicht vorbei. Wenn sie aber wüsste, dass ihre Herzschmerzschnulze „It’s a heartache“, Grundlage eines der bösesten Stadiongesänge gegen die eigene Mannschaft ist, wäre sie sicherlich schwer enttäuscht. Denn man singt bei schlechter Leistung:
„Spieler, die Fotzen eurer Mütter!
Mal sehen ob ihr Eier zeigen könnt!
Schliesslich spielen wir gegen niemanden!“
Die Fans vom Drittligsten Club Deportivo Morón attackieren auf diese Weise ihr Team, wie es sicherlich auch zur Zeit wieder die Fans von Independiente tuen. Genauso die Fans von River wobei sich die Borrachos del Tablón eine morddrohende B-Seite für das Vorgeplängel des Superclásicos gönnen. Da geht es dann nicht um ‚mehr Eier‘, sondern man kündigt an, „wenn ihr gegen Boca verliert, bleibt hier keiner übrig!“.
Argifutbol stellt Fangesänge vor, Teil IV: Der Welthit von Jambao
Letzte Woche gaben wir einen Überblick über internationale Partykracher, die auch auf den argentinischen Fantribünen zu Hits wurden. Diese Woche tauchen wir nun wieder in die Tiefen der lateinamerikanischen Musikkultur ein und widmen uns einem Cumbia-Song, der sich vor etwas weniger als zwei Jahren wie ein Flächenbrand in zahlreichen Stadien in Argentinien ausbreitete: Es handelt sich um „Se parece más a tí“ von der argentinischen Band Jambao, und ist der Cumbia romántica (in Mexiko auch als Cumbia sonidera bezeichnet) zuzuschreiben, wenngleich man es auch im weiter gefassten Genre Tropical ansiedeln kann. Das Phänomen der schnulzigen Combo Jambao aus San Martín im Großraum von Buenos Aires ist ihr Leadsänger Nestor Amari jr., der bei der Veröffentlichung des Liedes noch nicht einmal volljährig war. Aber seine zarte Stimme und seine herzzereissenden Texte animieren nicht nur Tanzbeine, sondern wohl auch die kreativen Köpfe auf Argentiniens Tribünen. Wir starten unseren Überblick mal in Rosario, wo die Fans von Central sehr früh die Melodie von „Se parece más a tí“ adaptierten, aber zum Zeitpunkt der Videoaufnahme man wohl noch nicht von einem weitverbreiteten Gesang sprechen konnte. Die Anhänger des großen Rivalen Newell’s machten den Chant für einige Wochen zu ihrem eigenen Tophit, mit aggressiven Text gegen Central. In diesem Video (mit miserabler Bildqualität aber grandiosem Audio) singen die Fans bei einem Public Viewing in einer Sporthalle des Vereins:
„Esta hinchada está re loca, con el vino y la falopa,
esta loca pasiòn la llevo en el corazòn.
En las buenas y en las malas , a mi no me importa nada.
Yo te vengo a alentar, la hinchada más popular.
Este campeonato nos volvemos a ver,
vamos que esta tarde no podemos perder.
Vos sos sin aliento, naciste hijo nuestro, vos sos un cagòn!
Aliento Si Parlante No.“
Auf deutsch etwas holprig, lautet die Übersetzung dennoch ungefähr:
„Die Fans sind total verrückt, mit Wein und Koks.
In guten wie in schlechten Zeiten. Mir ist alles egal.
Ich komme um dich zu unterstützen: Die populärste Fankurve!
Diese Saison werden wir uns wieder sehen,
heute Abend können wir nicht verlieren.
Du bist ohne Atem, geboren als unserer Sohn, du bist ein Angsthase!
Unterstützung ja, Lautsprecher nein!“
Bei der Übersetzung ist anzumerken, dass falopa als Überbegriff für Drogen (meist aber für Kokain) gilt. Außerdem ist La hinchada más popular ein feststehender Ausdruck oder Name, mit dem sich die derzeitige Barra Brava von Newell’s betitelt. In der vorletzten Zeile ist Atem als Synomyn für ‚Durchhaltevermögen‘ oder ‚Gesang‘ zu verstehen. Als ‚Vaterschaft‘ bezeichnet man die historische Überlegenheit eines Vereins in allen bisher gespielten Begegnungen zweier Klubs.
Zuletzt machen sie die Fans von Newell’s wie so häufig darüber lustig, dass auf den Tribünen von Rosario Central irgendwann mal wohl Lautsprecherboxen aufgestellt wurden, um den Gesängen mehr Volumen zu verleihen. Wenn wahr, dann eine undenkbare Peinlichkeit in der argentinischen Fankultur…. und gleichzeitig völlig normal in allen europäischen Ultra-Kurven.
Natürlich hört man diese Melodie auch in anderen Stadien, wie hier bei den Fans von Independiente auswärts bei Gimnasia de La Plata, als in der Halbzeit der neue Hit erfolgreich eingeübt wird.
Los Borrachos del Tablón von River Plate haben eine völlig eigene Variante gedichtet, die nach internen Querelen der Fangemeinschaft inhaltlich stark diverse Aspekte abhandelt:
„Volvimos a la cancha, porque no me importa nada.
Que se metan en el culo el derecho de admisión.
Aunque insulte la platea, aunque el juzgado no nos quiera.
Ccon los bombos y las banderas a la cancha voy igual!
Todos esos putos se quieren matar, porque a Gonzalo no lo vamos a olvidar.
Por eso te pido, River corazón.
Pongan más huevos para salir campeón!“
Auch hier sind wahrscheinlich einige Textstellen unklar, ergeben sich aber teilweise aus der Übersetzung:
„Wir sind ins Stadion zurückgekehrt. Mir ist alles egal.
Sollen sie sich doch die Stadionverbote in den Arsch stecken!
Auch wenn Haupttribüne schimpft, auch wenn die Richter uns nicht mögen.
Mit den Trommeln und den Fahnen, ins Stadion gehe ich trotzdem!
All diese Wichser ärgern sich zu Tode, denn Gonzalo werden wir nie vergessen.
Deshalb bitte ich dich, River mein Herz.
Zeigt mehr Eier, um Meister zu werden.“
Im Estadio Monumental kam es in der Vergangenheit desöfteren zu Konflikten zwischen den Sitzplätzen und der Stehplatzkurve, was die angebrachte Unterstützung oder Verachtung der eigenen Mannschaft betraf. Außerdem wurden nach verschiedenen internen gewaltvollen Machtkämpfen zahlreiche Stadionverbote ausgesprochen. Gonzalo (Acro) war einer der Köpfe einer führenden Fraktion auf der Tribüne und wurde vor zwei Jahren von anderen Barra Bravas von River erschossen.
Dieser äußerst melodische Fangesang gewann mit der Zeit auch über die Grenzen Argentiniens hinaus an großer Beliebtheit und wird zum Beispiel auch in Bolivien bei den Fans von Oriente Petrolero aus Santa Cruz gesungen.
Den interkontinentalen Durchbruch gelang Jambao allerdings durch die Hilfe von Real Madrids Sergio Ramos. Der spanische Nationalspieler gilt nicht nur als großer Bewunderer der argentinischen Fanszene, sondern begeistert sich auch für südamerikanische Rhythmen, so dass er „Se parece más a tí“ auf die Playlist der Partykarawane nach dem Erfolg bei der Europameisterschaft 2008 brachte.
Seitdem gilt Sergio Ramos in Argentinien als Cumbia-Fan und die spanische Nationalmannschaft könnte durchaus mal versuchen, mit „bombos und banderas“ eine Tribüne in Buenos Aires zu erobern. Nach der Niederlage gestern im Monumental beim Freundschaftsspiel gegen die Albiceleste war wohl die Stimmung weniger ausgelassen…
Argifutbol stellt Fangesänge vor, Teil V: Fröhlich sterben für die Farben des Herzens
Vergangene Woche haben wir verschiedene Stadionversionen von „Se parece más a ti“ der argentinischen Band Jambao vorgestellt. Diesmal hören wir uns auf der anderen Seite des Río de la Plata um und beschäftigen uns mit Rubén Rada, einem Sänger, Schauspieler und Komponisten aus Montevideo, Uruguay. Angesiedelt in verschiedenen Musikstilen, interessiert uns an dieser Stelle ein Song von Rada, der das Genre bereits im Titel führt: „Muriendo de Plena“ bedeutet etwa „an Plena(-musik) sterben“, wobei der der Sänger eher tematisiert, wie er sich eine fröhliche Feier nach seinem Tot wünscht. Leckeres Essen, ein gepflegter Tanz und die Schwiegereltern sollen doch bitte in rot und nicht in schwarz erscheinen…
„Wenn ich sterbe, möchte ich weder Tränen noch Trauer“, lautet die erste Textzeile und wurde ebenso von den Fans des Racing Club aus Avellaneda übernommen:
„Cuando yo me muera no quiero llanto ni pena
Prefiero que se me vele envuelto en una bandera.
La celeste y blanca, color que llevo en mis venas
por esta pasión re loca que siento por la academia.
Yo quiero a la gente cantando y de fiesta
como hace esta banda aunque gane o pierda.
Vos sos la alegria de mi corazón
por eso es que sueño con Racing Campeón!
Tanto sentimiento tanto carnaval
tiene un solo nombre
La Guardia Imperial.“
Die Fans beschwören hier ihre Treue zu La Academia und wünschen sich, nach dem Tod in eine rot-blaue Fahne gewickelt zu werden. Gleichzeitig träumen sie von einer Meisterschaft und versichern, „so viel Gefühl und so viel Karneval hat nur einen Namen: Die kaiserliche Garde“ – so der Name von Racings Barra Brava, eine der ältesten des Landes.
Ähnlich beginnt eine Version dieses Gesangs, den verschiedene hinchadas anderer argentinischer Klubs singen. So die Anhänger des Drittligisten Juventud Antioniana aus Salta oder die Fans vom kleinen Verein Atlanta aus Buenos Aires.
Wir wollen aber genauer die Variante des C.A. Huracán betrachten; in diesem guten Video kann man quasi mittendrin zuhören und einen Einblick in das Auge des Sturms auf argentinischen Tribünen erlangen.
„Cuando yo me muera, yo quiero que mi cajón,
sea de rojo y blanco, como mi corazón!!
Y si perdemos, tampoco me hago problema,
soy cada día mas hincha, del Globo y de la Quema!!
Vamos los Quemeros, yo te vengo a ver…
Tenemos los trapos de la Buteller!
Jugar en Primera y verte Campeón,
pasarme la vida, corriendo al Ciclón!“
Auf deutsch würde ein Fan des „Ballon“ wiefolgt singen:
„Wenn ich sterbe, will ich, dass mein Sarg
rot und weiss wird, so wie mein Herz.
Und wenn wir verlieren, mach ich mir auch keine Probleme.
Ich bin jeden Tag mehr Fan vom Ballon und La Quema.
Auf geht’s Quemeros, ich komme, um dich zu sehen.
Wir haben die Fahnen, von der Butteler.
In der ersten Liga spielen und dich als Meister sehen.
Das Leben damit verbringen, el ciclón zu jagen!“
Den Spitznamen „el globo“, der (Heissluft)ballon trägt Huracán in Gedenken an den argentinischen Luftfahrtpionier Jorge Newberry. Die Gegend von Buenos Aires, in der sich das Trainingszentrum von Huracán befindet, heisst im Volksmund La Quema, weil dort vor vielen Jahrzehnten die Müllverbrennung der Stadt stattfand. Daher bezeichnet man Spieler und Anhänger auch als Quemeros. „Wir haben die Fahnen“ beschreibt den mehrfachen erfolgreichen Diebstahl von Blockfahnen, so genannte Trapos (lange schmale „Lappen“), die senkrecht über die Tribüne gespannt werden. La Butteler ist eine führende Fraktion der Barra Brava von San Lorenzo, benannt nach ihrem Treffpunkt, der Plaza Butteler. Und um auch die kritischen Liguisten zu befriedigen: in der Fußballsprache Argentiniens bedeutet „correr a alguien“, soviel wie „jemanden jagen oder verfolgen“, gemeint sind in diesem Fall natürlich Kämpfe zwischen den Anhängern von Huracán und San Lorenzo, dem ciclón.
Und weil das Lied so stimmungsvoll ist, hier noch mal eine andere Videoaufnahme, bei der man auch erkennt wie die Barra Brava von Huracán im Hintergrund am Rand der Tribüne mit den blau-roten Trophäen, den Trapos von San Lorenzo, einmarschiert.
Argifutbol stellt Fangesänge vor, Teil VI: Freude für mein Herz
Letzte Woche waren wir mit Rubén Rada melodisch ziemlich fluffig unterwegs, auch wenn die verschiedenen Textversionen der argentinischen Fans gewohnt sentimental waren.
Diese Woche quetschen wir hoffentlich auch den härtesten eine Träne aus dem Auge, wobei uns der argentinische Liedermacher Fito Páez aus Rosario mit seinem absoluten Herzensbrecher-Song Dale alegría a mi corazón zur Seite steht. Auch wenn der romantische Text großen Interpretationsrahmen bietet, ist die Verbindung zum Fußball Páez 1990 quasi aus der Füllfeder aufs Papier geflossen. Das Lied vom siebten von bis heute 21 Alben Tercer Mundo wurde wohl von Páez in Ehren an Diego Maradona verfasst.
Beim Text halten sich die meisten hinchadas an den original Refrain und fordern vehement, dass ihre Mannschaft an diesem Tage ihnen doch (mit einem Sieg) Freude bereiten solle. Dazu kommt eine Erinnerung, dass z.B. die Copa Libertadores das größte Ziel ist, um welches es zu erringen, man „Eier und Herz“ zeigen muss. In Bocas Bombonera klingt das natürlich besonders gut, weil die bosteros in der Schlusszeile auch noch mal klarstellen, dass sie nicht „wie die Stricher von River Plate“ sind.
Angesichts der Tatsache, dass San Lorenzo als einziger der Big Five in Argentinien noch nie die Libertadores gewinnen konnte, ist dessen Forderung nach dieser ewigen Passión natürlich eine besondere. Die Anhänger des ciclón legen mit ihrem Drang nach Individualismus noch einen drauf und unterstreichen in diesem Lied deshalb zusätzlich, dass man bald sehen werde, dass es hier sich „weder um Boca noch River Plate“ handele.
Auch in niederen argentinischen Ligen wurde dieses Lied von Fito Páez übernommen, so wie hier bei den Fans von Los Andes aus Lómas de Zamora, wobei wir auch nach mehrmaligem genauen Hinhören nicht auschliessen können, dass sie nicht doch singen: „… no somos como los putos de la SPD“.
Weniger politisch, aber mit der Präzision eines Polizeiberichts haben die Fans von Racing diesen Gesang auf eine einzige Auseinandersetzung mit den Fans ihres Rivalen Independiente gedichtet. Den Originaltext kann man im Video der Guardia Imperial lesen, deshalb liefern wir nur die deutsche Übersetzung:
„Und gib und gib meinem Herzen Freude,
die Roten schossen weil sie Angsthasen sind!
Sie sagten, dass sie im Bajo Flores rocken wollten,
und am Ende sind sie zum Walmart gerannt!
Was soll man machen?
Wenn dir die Kugeln ausgehen wirst du laufen gehen!
So bist du, die Roten klingelten bei den Wohnblocks!“
Vermutlich werden die Ereignisse einer (vielleicht) verabredeten Schlacht mit den roten Fans von Independiente abgehandelt, die aber kurioser Weise im Bajo Flores, Stadtviertel in dem sich das Stadion von San Lorenzo befindet, zutragen sollte.
San Lorenzo ist hier wohl auch indirekt mit der Bezeichnung ‚Walmart‘ gemeint (Walmart ist wie Carrefour eine Supermarktkette – was das mit San Lorenzo auf sich hat kann man hier gaaanz unten nachlesen). Wenn man dem Chant von Racing glauben schenken darf, verzogen sich schliesslich die Fans von Independiente in eine Hochhaussiedlung.
Die Anhänger der roten Fraktion aus Avellaneda haben zur Melodie von Dale Alegría a mi corazón einen eigenen Text geschaffen:
En mi vida hay una cosa que solo le pido a dios,
que el rojo vaya conmigo hasta el cajón!
Y vayas a donde vayas yo voy con vos,
y Racing andá a la puta que te parió!
Yo soy asi, y gritando que te quiero voy a morir!“
Zu übersetzen wie folgt:
„In meinem Leben gibt es nur eine Sache, um die ich Gott bitte,
dass der Rote mich bis in den Sarg begleitet!
Und wohin auch immer, ich komme mit dir,
und Racing verpiss dich zur Nutte, die dich auf die Welt brachte!
So bin ich. Und schreiend, dass ich dich liebe, werde ich sterben!“
Das ganze sieht im rundum erneuerten Estadio Libertadores de America so aus und man kann sich angesichts dieser Aufnahmen nur darauf freuen, dass die Bauarbeiten endlich fertiggestellt werden damit das gesamte Stadion für die Zuschauer zugänglich ist.
Ach ja, natürlich hat es auch dieser Fangesang auf andere Lateinamerikanische Tribünen gebracht. Das klappt diesmal in Chile sogar besonders gut, wenn Colo Colos La Garra Blanca von der „Ehre Copa Libertadores“ singt.
Argifutbol stellt Fangesänge vor, Teil VII: Bitte mich um den Mond oder um Party!
Nach einer Urlaubspause steigen wir nun wieder mit vollem Elan in unsere beliebte Serie über argentinische Fangesänge ein. Nachdem wir uns in den vergangenen Wochen mal mit internationalen Hits, mal mit argentinischem Kuschelrock oder mit argentinischer Ska-Partymusik der 90er beschäftigt haben, widmen wir uns im 7. Teil dieser Serie (und vermutlich auch in den kommenden Wochen) dem Hauptfundus der Fangesänge. CUMBIA!
Ein relativ alter Song der Cumbia romántica ist „Pideme la luna“, interpretiert von verschiedenen Bands, zum Beispiel von der peruanischen Kultgruppe Los Mirlos, aber auch in einer Cumbia villera– Version von RePiola. Sehr romantisch fordert der Interpret, dass ein Mädchen von ihm den Mond fordern könne und er ihr selbst diesen als Liebesbeweis herunterholen würde.
Eine Liebeserklärung, die ideal für einen Fangesang scheint. Die Fans von Independiente halten sich sogar teilweise an den Originaltext wenn sie mal mit Trommeln, mal ohne singen:
„Pideme la luna, te la bajaré.
Pideme cinquenta para el papel.
Pero no me pidas que no venga más,
porque Independiente es una enfermedad!
Yo paro en la banda, más loca de todas,
que sigue al rojo a donde va.
Esta hinchada lo corre a Boca.
A los de Racing sí vamos a matar.“
Der Chant entspricht in der ersten Zeile dem Text der Schnulze, verfällt dann aber um so schneller in das übliche Fanjargón:
„Bitte mich um den Mond und ich werde ihn dir runterholen.
Bitte mich um 50 Cent für das Briefchen.
Aber bitte mich nicht darum, nicht mehr zu kommen,
denn Independiente ist eine Krankheit.
Ich gehöre zur Truppe, die verrückteste von allen,
die den Roten überall hin begleitet.
Diese Fans schlagen Boca in die Flucht.
Die von Racing werden wir sicherlich umbringen.“
In der zweiten Zeile geht es natürlich um ein Briefchen Kokain, um dessen Erwerb zu finanzieren, man häufig im Umfeld der argentinischen Stadien angeschnorrt wird.
Die Fans von den Boca Juniors haben sich völlig vom Mond gelöst und präsentieren sich gewohnt selbstsicher und gleichzeitig hämisch gegenüber den Anhängern von River Plate:
„Vamos los Xeneizes vamos a ganar,
esta es tu hinchada que te va alentar.
Vamos los Xeneizes no podés perder,
porque a Los Borrachos los vamos a correr.
Si quieren ver fiesta, vengan a La Doce,
porque esta hinchada es la más loca que hay.
Con los bombos y trompetas y todas sus banderas,
todos los Borrachos se quieren matar.“
„Auf geht’s Xeneizes„, so lautet der Spitzname für Boca Juniors, der auf die Bewohner des Viertels La Boca zurückgeht. Diese stammten zu großen Teilen aus der italienischen Hafenstadt Genua, dessen Bürger widerum im ligurischen Dialekt Xeneizes heissen.
Weiter singen die Fans von Boca, dass wer fiesta sehen wolle, zu La Doce kommen muss. Denn diese sei mit all den Trommeln, Trompeten und Fahnen die verrückteste von allen Fankurven. Über die Borrachos (del tablón) von River Plate singen sie, dass diese sich wohl (vor Neid) umbringen wollen.
Vor Neid sich zumindest schwarz ärgern, werden sich vielleicht auch einige europäische Stadiongänger bei diesem Video, in dem ebendiese Borrachos del Tablón von River Plate ihre Version vom Cumbia-Hit „Pideme la luna“ zum besten geben. Sie singen unter anderem, dass sie am Sonntag alles stehen und liegen lassen, um River zu sehen. In alldiesem tollen Spektakel fällt plötzlich ein umjubeltes Tor für die Millonarios. Aber die Fans müssen sich bei ihrem Torjubel nicht wie in Deutschland einer bestimmten „Tormusik“ beugen, um ihren Treffer zu feiern. Sondern die Anhänger von River nehmen einfach den selben Gesang mit noch mehr Elan und noch mehr Freude wieder auf.
Argifutbol stellt Fangesänge vor, Teil VIII: Gilda!
Letzte Woche haben wir mehr Cumbia versprochen und widmen uns diesmal der Königen des Genres: GILDA
Miriam Alejandra Bianchi kam 1961 in Buenos Aires auf die Welt und wurde als Gilda in der ersten Häfte der 90er Jahre zur beliebtesten Sängerin des Landes. 1996 kam sie bei einem Autounfall ums Leben, bei dem ebenso ihre Tochter, ihre Mutter und weitere Musiker ihrer Band starben, die sich auf dem Weg zu einem Konzert in der Provinz Entre Ríos befand.
Gilda gilt als Ikone der cumbia tropical, dessen Hits auch nach ihrem Tod aus vielen Radios klappern oder auf Festen zu Tanz bitten.
Gleich mehrere Songs von Gilda wurden von argentinischen Fankurven adaptiert. Ihr vielleicht größter Hit ist vielleicht No me arrepiento de este amor („Ich bereue diese Liebe nicht“), der auch in einer deutlich rockigeren Version von Attaque 77 2002 gecovert wurde.
Zu diesem Zeitpunkt war der Song allerdings schon ein Klassiker auf den argentinischen Tribünen, wie hier bei den Fans des Drittligisten Juventud Antoniana in der Provinz Hauptstadt Salta oder bei den Anhängern von Racing. Diese singen übersetzt:
„Ich bereue diese Liebe nicht, auch wenn sie mich das Herz kostet.
Ich trage das Trikot auf der Haut und werde für die Acadé sterben.
Wir werden River Plate in die Flucht schlagen. Wir werden ihnen zeigen, dass Racing es wirklich drauf hat und ohne Polizeischutz unterwegs ist.
Rojo, du hast keine Eier und hälst ohne Knarren nicht durch.
Du bist genau wie San Lorenzo, bist ein Feigling.
Und auch wenn wir keine Titel feiern, Racing ist immer eine fiesta.
Die Verrücktheit der Drogen und der Zügellosigkeit.“
Zugegeben, diese Übersetzung mag etwas holprig erscheinen, was an dem einfachen Grund liegt, dass einige i im argentinischen Fanvokabular auftachende Konzepte, Formulierungen oder Phrasen nur schwer im Deutschen widerzugeben sind. So wird zum Beispiel descontrol (hier als ‚Zügellosigkeit‘ übersetzt) häufig als Merkmal einer Hinchada angepriesen.
Die Fans von Godoy Cruz aus Mendoza singen einen Text fast gleich dem von Racing, während die Roten aus Avellaneda einen völlig anderen Gesang zur Melodie von Gildas Hit gedichtet haben, in dem sie den Rivalen Racing süß daran erinnern, wie Independiente im Meisterjahr 1983 ihm den Dolchstoß in die 2. Liga gab und gleichzeitig den Titel feierte.
Ein anderer romantischer Klassiker von Gilda, der in argentinischen Stadien ertönt ist Se me ha perdido un corazón. Diesen Song haben neben anderen die Fans von Boca adaptiert und zielen gewohnt auf River Plate, die „nie nach Japan“ (zur Klub WM) reisen werden. Die vermutliche ältere Version stammt aus Rosario und wird bei Newell’s Old Boys gesungen. Leider kein gutes Video, was mal wieder beweisst, dass eine ausgeprägte YouTube-Präsens nicht unbedingt die wahre Gesangsqualität einer Fankurve repräsentiert. Auch Corazón valiente von Gilda schaffte es auf die Tribüne von Boca, wenngleich es nicht unbedingt ein Tophit von La 12 ist.
Andere Lieder von Gilda gefallen manchen argentinischen Fans so gut, dass sie versuchen mit Propaganda über das Internet bestimmte Rhythmen auf ihre Tribüne zu werben. Hier hat sich ein kreativer Anhänger von River Plate eine Stadionversion von einem ihrer Hits ausgedacht.
Ob es nun Gilda selbst oder doch eher der Ruhm der argentinischen Fans diese sentimentalen Chants auch auf Tribünen anderer Länder brachte, ist schwer zu rekonstruieren. Aber sowohl in Mexiko bei Emelec, als auch bei Allianza Lima in Peru und bei Independiente aus Medellín in Kolumbien bereuen die Anhänger nicht die Liebe zu ihrem Verein und singen zur Melodie von No me arrepiento de este amor.
Argifutbol stellt Fangesänge vor, Teil IX: In den Gassen der Villa erzählt man sich…
In der letzten Wochen verzichteten wir auf unsere Kolumne über argentinische Stadionlieder wegen des Todes von Nestor Kirchner. Nun geht es aber in die 9. Runde, wobei wir die Serie zur Cumbia fortsetzen. Aber heute geht es um ein besonderes Subgenre, zu dem selbst Kirchner 2004 sich überraschend positiv äußerte: Cumbia villera auf argentinischen Tribünen.
Die Cumbia villera enstand Ende der 90er Jahre im Großraum Buenos Aires und beschreibt einen besonderen Stil „aus der Villa“, also aus den Armenvierteln der Metropole. Die Villera charakterisiert sich durch den typischen Rhythmus der Cumbia, wobei sie durch den Einsatz von einfachen Synthezisern elektronisch klapprig erscheint. In den ersten Jahren dieses Milleniums erreichte die Villera ihre höchste Popularität. Während sie von der unteren Mittelschicht abwärts vergöttert wird, wurde sie lange Zeit von großen Teilen der restlichen Bevölkerung mit Abscheulichkeit abgelehnt.
En los pasillos de la villa se comenta… („In den Gassen der Villa erzählt man sich…“); so beginnt der Hit Cumbia Villera von Yerba Brava, der das aufstrebende Genre quasi taufte. Selbst große Fußballfans, widmeten sie mit La Cumbia de los Trapos eine Hommage allen argentinischen Fangruppierungen.
Aber zahlreiche andere Lieder wurden natürlich von verschiedensten Hinchadas adaptiert und stadiontauglich ungedichtet. Los Pibes Chorros singen „Tano pastita„, wobei sich die Pointe des Songs um die traurige Doppeldeutigkeit des Wortes pasta (Teig-ware, Gebäck; pasta base – Crack) dreht. Die immerwieder bewundernswerten Fans von Newell’s Old Boys aus Rosario bewegen sich im selben thematischen Feld, wenn sie singen: „Der Wein und die Drogen blasen mir das Gehirn weg“. Später in diesem Gesang werden sie nahezu politisch, wenn sie ankündigen, alle Militärs umzubringen; und natürlich auch alle Anhänger ihres Rivalen Rosario Central.
Es geht aber auch deutlich romantischer in der Cumbia Villera, bei Nestor en Bloque zum Beispiel. Nestor, selbst Anhänger von San Lorenzo und häufig mit Trikot auf den Konzertbühnen, haucht in die Mikrophone, dass nur eine Straße ihn von seiner Liebe trennt. (Una Calle me separa)
Vermutlich mit als erste Fans übernahmen die Anhänger von Chacarita die Schnulze und schafften es damit auch in das wöchentliche Ranking der früheren TV-Sendung El Aguante auf TyC Sports, in der bis vor einigen Jahren Stadionlieder vorgestellt wurden. „Chaca, yo te quiero“ singen die Funebreros äußerst gefühlvoll im ersten Teil dieses Clips.
Später sangen auch die Fans von Boca zur Melodie von Una Calle nos separa:
„Los domingos en la cancha
esta hinchada esta re loca.
Solo quiero ver a Boca.
Muchas cosas nos separan. che gallina hija de puta!
Siempre hiciste amistades y tu aguante, es la yuta
y River Plate no para de correr,
siempre me chamuyas y nunca te plantas.
Yo te prometo que
nos vamos a encontrar
y te vamos a matar!“
Zum besseren Verständnis auf deutsch:
„Sonntags im Stadion,
sind diese Fans total verrückt.
Ich will nur Boca sehen.
Viele Dinge trennen uns. hey, Gallina! Hurentocher!
Du bist immer Freundschaften eingegangen und dein Rückhalt ist die Polizei!
Und River Plate läuft immerzu davon,
laberst mich immer voll und nie stellst du dich.
Ich verspreche dir, dass
wir uns treffen werden
und ich werde dich umbringen!“
Die Bosteros singen ebenfalls, wenn auch nicht mehr so häufig, einen Cumbia Villera – Hit von RePiola. Dessen Sänger, in der Ästhetik nicht weit entfernt von Nestor en Bloque, manifestiert bei „No me vuelvo a enamorar„, dass er sich nicht mehr verlieben werde, um nicht mehr zu leiden.
Auch wenn die Fans von Vélez Sarsfield immerwieder von anderen als schnöselige Teenies aus der Mittelschicht verlacht werden, scheinen dennoch die kreativen Köpfe im Estadio José Amalfitani auch eine Vorliebe für Cumbia zu haben. So klingt ihre Variante zur selben Melodie von RePiola.
„Cien anos de locura y de pasión,
cien anos que en el barrio mando yo.
Cien anos de cojerme a la AKD,
cien anos de copar donde jugué.
Por eso yo, vengo a alentar,
otros cien anos voy a estar.
De visitante o de local
por el orgullo nacional.“
Die Jubiläumshymne auf deutsch:
„100 Jahre Verrücktheit und Passion.
100 Jahre bestimme ich bei uns im Viertel
100 Jahre nudel ich die AKD durch
100 Jahre gewinne ich, wo immer ich auch spielte.
Deshalb komme ich, um zu unterstützen,
weitere 100 Jahre werde ich da sein.
Ob zu Hause oder auswärts,
für den Stolz des Landes.“
Hier muss angemerkt werden, dass es sich bei Orgullo Nacional (hier als „Stolz des Landes“ übersetzt) nicht um irgendwelche nationalistischen Ansichten handelt, sondern dies ein verbreiteter Spitzname für Independiente war, als diese in den 70er und 80er Jahren haufenweise internationale Pokale nach Argentinien trugen. Mit „AKD“ wird natürlich der Rivale Racing, Spitzname Academia, angesprochen.
Sehr großer Beliebheit erfreut sich die Cumbia Villera übrigens auch in Mexiko, wo dessen Popularität jene in der Heimat heute übersteigt. Dementsprechend haben auch die sehr Argentinien-orientierten mexikanischen Fans einige Hits der Villera übernommen. Ziemlich genau kopierten beispielweise die Anhänger der Chivas den eben vorgestellten Gesang von Independiente. Nur warum Mexikaner weniger Taktgefühl und Sensibilität für Melodien haben als ihre argentinischen Vorbilder, können wir leider an dieser Stelle nicht klären.
Argifutbol stellt Fangesänge vor, Teil X: Warum gehst du…?
Nein! Keine Sorge! Niemand verlässt uns wirklich. Vor allem nicht in dieser spannenden Phase des argentinischen Fußballs, kurz vor dem Superclásico River – Boca, mit Independiente im Halbfinale der Sudamericana und el loco Bielsa, der in Chile fast einen Volksaufstand provoziert. „Warum gehst du?“ ist nur der übersetzte Titel des Liedes, mit dem wir uns heute ausführlich in puncto Fangesänge beschäftigen werden.
Por qué te vas?– diese Frage stellte erstmals die gebürtige Engländerin Jeanette, die aber den größten Teil ihres Lebens Schlagerhits auf Spanisch jauchte. Berühmt wurde der Song vor allem durch den spanischen Film Cría Cuervos (1975) von Carlos Saura und gehört seitdem zum Standardrepatoire eines jeden spanisch-sprachigen Gitarrenspielers. Ein Sänger wie Manu Chao spielt den Song im Schlaf. Aber auch die in Deutschland lebenden Brüder von Caramelo Criminal haben den Song sehr schön Reggae-lastig interpretieren.
Ausschlaggebend für die Adaption auf südamerikanischen Tribünen war aber wohl die punkige Version der argentinischen Band Attaque77, von denen wir bereits andere Coverversionen, die als Grundlage für Fangesänge dienen, in den letzten Wochen vorstellten.
Dieser Stadionhit ist aber kein exklusiv der hinchadas argentinas. Auch in Chile singen die Fans von Colo Colo schon seit Jahren mit viel Hähme über ihren Rivalen Universidad de Chile zu dieser Melodie. Eine Durststrecke von 25 Jahren musste la U nämlich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts durchleben, bis endlich wieder ein Meistertitel gefeiert werden konnte. Colo Colo brach in dieser Zeit alle nationalen Rekorde und ihre Fans von der Garra Blanca tematisieren dies ausführlich in diesem Gesang.
Auch in der Republik östlich des Flusses Uruguay singen die Fans vom Hauptstadtklub Penarol zu der Musik von „Por qué te vas?“. Hier ist interessant, wie das eigene Catering gelobt wird. Ihre Versorgungskanäle werden Gras auf ewig bereitstellen. „Marihuana nunca faltará…“ singen die Fans des Carbonero.
In Argentinien hört man die gefühlvolle, nahezu schleppende Melodie auch in zahlreichen Stadien. Im Stadtviertel Bajo Flores stellen die Fans von San Lorenzo klar, wie verrückt sie sind. Außerdem preisen sie ihr ’neue‘ Stadion, in dem nun auch wieder Titel gefeiert werden sollen. Bedenkt man aber, dass das Nuevo Gasómetro bereits 1993 eröffnet wurde, muss man vielleicht davon ausgehen, dass wie häufig die Fans vom ciclón mit Abstand die ersten waren, die das Schlaflied von Jeanette mit Trommeln und Becken für den Fußball interpretierten. Denn schon Maradona stellte fest, dass San Lorenzo wahrscheinlich die kreativsten Fans in Argentinien habe.
Beim Derby in Rosario muss man im Auswärtsblock schon besonders laut sein, um sich Gehör zu verschaffen. Die Fans von Rosario Central geben ihr bestens in diesem grandiosen Video, aufgenommen von unseren Freunden von Pasión Latina beim Clásico Rosarino vor einem Jahr.
Die Anhänger von Independiente haben die Melodie von „Por qué te vas?“ zur Einzugsmusik ihrer Barra Brava auserkohren. Wie in Argentinien üblich, zelebiert der harte Kern der Fankurven gerne seinen Einmarsch ähnlich spektakulär wie das Einlaufen der Mannschaften. Auf den Tribünen bilden sich dann sichtbar offene Bahnen, wo dann mit Fahnen, Regenschirmen und Trommeln die 150-200 Barras der jeweiligen Fankurve einmarschieren. Im Estadio Libertadores von Independiente singt man dazu treffend:
„Die Bande vom Roten ist jetzt da,
um zu unterstützen!
Auf den Tribünen beginnt jetzt die Fiesta,
es gibt nichts vergleichbares!
Cuervo, Academia und River Plate:
Ich möchte euch sehen,
endlich mal in einem Kampf mit den Roten,
aber ohne wegzurennen.
Boca, du der immer erzählt,
aber nicht durchhälst
und der Truppe der Roten stellst du dich nie
warum ist das wohl so?“
Dazu wird in diesem Video die neueste Blockfahne präsentiert. Dem Fan und ehemaligen Spieler von Independiente Sergio ‚Kun‘ Agüero wird ewige Dankbarkeit geschworen, denn sein Transfersumme ermöglichte erst große Teile des Stadionumbaus.
Was ist das Original, welches diesem Song zugrunde liegt:
bisschen spät:
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