Der verrückte Tor-Optimist und ein Dutzend Anekdoten

Martín Palermo

Am vergangenen Sonntag erzielte Martín Palermo den 3:2 Siegtreffer für Boca gegen Vélez mit einem Kopfballtreffer aus knapp vierzig Metern. Der Verrückte ist nicht nur wegen diesem Treffer in Argentinien zur Zeit in aller Munde. Nationaltrainer Maradona nominierte ihn in den letzten Monaten immerwieder für die Albiceleste und Palermo konnte zuletzt nach zehn Jahren sein Comeback in der Landesauswahl feiern. Während in den europäischen Topligen zahlreiche argentinischen Superstürmer nach ihrer Form suchen, schießt Palermo bei Boca Juniors mit seinen 35 Jahren Tore wie am Fließband. Wie gegen Brasilien, spekuliert er wohl auch diesen Samstag auf einen Jokereinsatz beim vorentscheidendem Qualifikationsspiel gegen Peru. Damit ihr wisst, wer dieser Verrückte überhaupt ist, präsentiert euch Argifutbol zwölf Geschichten des optimista del gol.

1. Martín Palermo wurde im November 1973 in La Plata geboren und debütierte neunzehn Jahre später in der ersten argentinischen Liga für seinen Lieblingsverein Estudiantes. Er benötigte aber einige Spielzeiten, um sich auf seiner Position als klassischer Mittelstürmer bei den Pincharratas einen Stammplatz zu erkämpfen. Seine Tore weckten das Interesse der Klubs in Buenos Aires und auf ausdrücklichen Wunsch von Diego Maradona, der auf den letzten Metern seiner Spielerkarriere wandelte, verpflichtete ihn Boca in der Jahresmitte 1997. Ein Jahr später schreibt er den ersten Rekord: Im Torneo Apertura 1998 erzielt Palermo in 19 Spielen 20 Tore und hält damit die Bestmarke als Torschützenkönig in Argentinien, seit die Spielzeiten im Halbjahresrhytmus ausgetragen werden.

2. Am neunten Spieltag derselben Saison sorgt Palermo für das erste Kuriosum seiner Laufbahn: Beim Sieg von Boca gegen den heutigen Zweitligsten C.A. Platense rutscht er beim Anlauf zu einem Strafstoß aus und versenkt so den Elfmeter mit beiden Beinen. Ein Versehen, aber dennoch einmalig und das erste von vielen  folgenden skurrilen Toren.

3. Bei der Copa América 1999 in Paraguay sorgt Palermo für einen peinlichen Rekord. Obwohl er Toptorschütze der argentinischen Nationalmannschaft in diesem kontinentalen Wettbbewerb ist, gelingt Palermo durch das Spiel gegen Kolumbien zu weltweiter Berühmtheit, in dem er keinen Treffer erzielt, sondern drei (!) Elfmeter in der regulären Spielzeit vergibt.

4. Seinen Torinstinkt hatte el loco (der Verrückte) dennoch nicht verloren. Aber ihn begleitet nun auch eine Pechsträhne. Beim Auswärtsspiel in Santa Fé gegen C.A. Colón reißt Palermo sich erstmals die Kreuzbänder des rechten Knies. Dennoch schleppt er sich noch einige Minuten über den Platz und erzielt verletzt humpelnd sein 100. Ligator.

5. Sein Comeback nach dieser schweren Verletzung ist ein leuchtender Stern in den Geschichtsbüchern von Boca: Im Viertelfinale der Copa Libertadores kommt es zum Superclásico zwischen den Boca Juniors und River Plate. Boca hatte das Hinspiel 1:2 verloren, aber im Rückspiel in der Bombonera steht es kurz vor dem Abpfiff 2:0 für Boca. Das Stadion steht Kopf und der noch nicht vollständig rehabilitierte Martín Palermo soll an diesem Triumph teilhaben. Coach Bianchi schickt ihn für die letzten Minuten aufs Spielfeld und während der Fernsehkommentator die Sekunden der Nachspielzeit herunterzählt, kommt Palermo im Strafraum an den Ball, wendet sich schlacksig zum Tor und vergoldet mit dem Schlusspfiff diesen Sieg gegen den Erzfeind mit dem Treffer zum 3:0. Ein ewig schmerzender Dolchstoß in die Herzen aller River-Fans.

6. Boca besteigt in dieser Copa Libertadores erstmals nach 22 Jahren den Olymp des südamerikanischen Fußballs und trifft einige Monate später in Japan bei der Copa Intercontinental auf das galaktische Real Madrid der Jahrtausendwende. Die Argentinier fiebern diesem Duell monatelang entgegen und Boca liquidiert Real innerhalb der ersten fünf Minuten! Martín Palermo erzielt in der 2. und 6. Minute die Siegtreffer zum 2:1 für die Xeneizes.

7. Palermo wechselt kurz darauf nach Spanien zum aufstrebenden gelben U-Boot von Villareal. Zwar kann er dort nicht soviele Treffer erzielen wie in der Heimat, aber wenn er ein Tor versenkt, feiert er es auf seine Art gewohnt ausgiebig. Nach seinem Tor in einem Spiel der Copa del Rey gegen Levante stürmt er zu den jubelnden Fans von Villareal, unter deren Last eine Betonwand einstürzt. Martín Palermo, im Video rechts im Bild mit der Nummer 9, bricht sich dabei das Schien- und Wadenbein und verpasst in der Folge dieser Verletzung die Nominierung zur Weltmeisterschaft 2002.

8. In den Jahren danach wird es etwas ruhiger um den Tor-Optimisten. Nach einem Engagement bei Betis Sevilla wechselt Palermo zurück zu Boca, wo er wieder Tore am Fließband knipst. Aber er beachtet einen südamerikanischen Ehrenkodex: Tore gegen seinen Lieblings- oder Exverein feiert man nicht. Im Torneo Clausura 2007 trifft er gegen sein Team Estudiantes de La Plata sogar dreimal und bei seinem zweiten Treffer jubelt er zwar nicht mit erhobenen Armen, scheint sich aber dennoch schelmig mit seinen Mitspielern über dieses Tor zu freuen. Viele Anhänger von Estudiantes sind entrüstet, man wirft ihm Verrat vor und er wird sogar ausgepfiffen. Deutlich geknickt entschuldigt er sich zuerst über die Presse und dann auf dem Platz bei den Fans des Pincha: Nur eine Woche später erzielt Palermo bei Bocas Sieg gegen Estudiantes Erzrivalen Gimnasia de La Plata vier Treffer -davon ein Hattrick innerhalb von neun Minuten bis zur 15. Minute- und feiert diesmal jedes davon besonders genüßlich.

9. In derselben Spielzeit sorgte el loco wieder für einen besonders skurrilen Treffer. Beim Derby gegen Independiente sind alle Augen auf den Rückkehrer Juan Román Riquelme gerichtet. Dieser bringt mit genialen Vorlagen nach 0:1 Rückstand Boca auf die Siegesstraße. Aber den Lorbeerkranz der Begegnung kassiert dennoch Palermo, der sich in der Schlußoffensive von Independiente den Ball an der Mittellinie erkämpft und ihn aus über fünfzig Metern hinter Torwart Oscar Ustari im Tor versenkt.

10. Aber am schönsten feiern sich Tore gegen den großen Rivalen River Plate. In Argentinien werden in der Sommer- und Winterpause immer Turniere der Topfive ausgespielt, um die Fans und Fernsehsender mit Fußball zu versorgen. Besonders die Superclásico-Duelle im Sommer in Mar del Plata sind von einer großen Rivalität geprägt, weil dort zigtausende Strandurlauber die Tribünen füllen und weil es dort vor einigen Jahren zu einer legendären weil brutalsten Auseinandersetzungen zwischen Rivers Los Borrachos del Tablón und Bocas La12 kam. Palermo antwortete im Sommer 2008 auf dem Platz und erzielte den 2:0 Siegtreffer, mit einem Arm an der Torlatte hängend, durch einen vielleicht einzigartigen Treffer.

11. Dass Martín Palermo ein besonderes Verhältnis zum Elfmeterpunkt pflegt dürfte mittlerweile klar sein. Dennoch scheut er nicht die Verantwortung und tritt immer wieder an, wenn es zu einem Strafstoß kommt. In der Vorrunde der Copa Libertadores 2008 steht Boca nach mauen Darbietungen mit dem Rücken zur Wand und muss zu Hause gegen Chiles Rekordmeister Colo Colo unbedingt punkten. Boca gerät früh in Rückstand und verliert auch noch durch einen Platzverweis einen Mann. Ein Elfmeter für die Xeneizes könnte das Spiel offen gestalten, aber Palermo tritt an und verschiesst. Auf der Tribüne flucht man über Palermos in diesem Moment scheinbar unangebrachte Torgier. Doch der Verrückte trägt nicht umsonst den weiteren Spitznamen el optimista del gol und nur wenige Minuten nach dem verschossenen Elfmeter stürzt er sich mit einem wagemutigen Flugkopfball in den Fünfmeterraum von Colo Colo und erzielt den Ausgleich, der Bocas späteren 4:3 Sieg einleitet.

12. Für uns machte er das Dutzend komplett mit seinem Kopfballtreffer aus 38,9 Metern zum 3:2 Sieg gegen Meister Vélez Sársfield am vergangenen Sonntag. Selbst der 2:2 Ausgleich durch Riquelmes Traumtor in den Winkel ging im Trubel um diesen Treffer unter. Ach so, es war übrigens Palermos 200. Tor in der argentinischen Liga und er feierte es wie so häufig als eine Figur zusammengesetzt aus einem Gladiator, einem Torero oder einem Chippendale.  Aber auch dieser erneute Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde ist nur ein weiteres verrücktes Kapitel in der Karriere des Martín Palermo.

Viktor Coco

4 Antworten zu “Der verrückte Tor-Optimist und ein Dutzend Anekdoten

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