In Vorbereitung auf den anstehenden Rückrundstart werden wir vom Autorenkreis unsere Erwartungen an die neue Saison in Kürze mit euch teilen. Bei der Bearbeitung meines Teils der Aufgabe wurde mir aber schnell klar, dass ich neben all den positiven Dingen, die der Fußball in Argentinien für mich zu bieten hat, mich doch auch noch vieles stört. Insbesondere stößt mir das schwindende spielerische Niveau der Erstligisten in den letzten Jahren sauer auf, taktisch bewegen sie sich allenfalls auf jenem von Jahn Regensburg. Deshalb möchte ich nun auf die beiden Missstände eingehen und und meine Gedanken als Diskussionsgrundlage mit euch teilen.
Die Kader setzen sich aufgrund der finanziellen Schieflage vieler Klubs oft aus mittelmäßigen einheimischen Kickern zusammen, denen schlicht die Klasse für den Sprung nach Europa fehlt, diesen schon einmal verpatzt haben oder sich noch einen gemütlichen Ruhestand im Heimatland hingeben. Man muss schon Augen und Ohren offen halten, um sich die Rosinen aus diesem schnöden Einheitsbrei herauspicken zu können. Ruben Botta, Luciano Vietto oder Leandro Paredes sind dabei als erstes zu nennen. Leider werden solche talentierten Spieler aber, nachdem sie ein gutes Dutzend passabler Ligaspiele absolviert haben, aufgrund der leeren Vereinskassen sogleich auf dem gesamten Globus angeboten. Um den Kreis zu schließen: Wachiturro Centurión spielte eine starke Hinrunde. Nun wurde er in den Nordkaukasus vertickt, um dort einen Milliardär zu bespaßen. Wen holt der abgebende Racing Club nun als „Ersatz“? Mario Bolatti aus der Diaspora Brasilien. Der war eine Saison mal richtig gut. Für Huracán unter Trainerphilosoph Ángel Cappa klappte es fast mit dem Meistertitel. Danach versuchte er sich bei Florenz und Porto – mit mäßigem Erfolg. Bei Internacional wurde er dann kürzlich aufs Abstellgleis geschoben.
Bei meinen Farben, Independiente, wird nun der immer noch umsichtige, aber gleichsam immer fußlahmere Rolfi Montenegro als Heilsbringer gepriesen. Naja, bei einer solchen Personalpolitik fehlt mir oftmals das richtige Maß. Auf der einen Seite werden gute Erlöse durch die Transfers nach Übersee erwirtschaftet. Andererseits werden die Einnahmen, wenn sie nicht vorher schon in dunklen Kanälen versickern, in alternde „Stars“ von zweifelhafter sportlicher Qualität gesteckt. Warum nimmt man dieses Geld nicht, steckt es in eine Verbesserung der Infrastruktur oder in die Ausbildung des trainierenden Personals? Vélez Sarsfield und Lanús laufen doch mit dieser Vereinspolitik ganz gut und könnten als Vorreiter dienen.
In der Vergangenheit wurden die taktischen Kniffe argentinischer Übungsleiter noch geschätzt. Ich kann mich an ein länger zurückliegendes Interview mit Christoph Daum erinnern. Dieser schilderte, dass er in den Spielpausen an den Rio de la Plata reise, um sich dort Trainingsmethoden anzuschauen, und seine Lehren daraus zu ziehen. Welche würde er heute ziehen? Wie man recht planlos mit langen Bällen operiert und auf Gedeih und Verderb mit einem tauglichen Knipser verbunden ist? Ferner erfreute man sich früher an exzellenten, taktisch sehr gut geschulten defensiven Mittelfeldspielern. Diego Simeone, Matías Almeyda, Javier Mascherano oder Ever Banega. Spieler mit den Anlagen dieser Akteure suche ich jedenfalls vergebens in den Aufgeboten der Klubs von Rosario über Mendoza bis Buenos Aires. Wahrscheinlich hapert es da auch schlichtweg an der nötigen Qualifizierung der sportlich Verantwortlichen.

Zukunft ungewiss: U20-Trainer Marcelo Trobbiani (rechts) steht nach der verpatzten Copa zurecht in der Kritik. Foto: Andreas Geipel
Jüngstes Beispiel dafür, dass der argentinische Fußball in vielerlei Hinsicht ins Hintertreffen geraten ist, offenbarte die jüngste U20-Kontinentalmeisterschaft. Mit vielen offensivstarken Sternchen gespickt, träumte man vom Gewinn des Turnier vor heimischer Kulisse. Stattdessen wurde einmal mehr klar, dass eine Reihe von vielversprechenden Solisten noch lange kein gutes Orchester ergibt. Iturbe, Centurión oder Vietto können eine gute „erste Geige“ spielen – wenn da aber kein geeigneter Dirigent am Start ist oder jemand, der mal kräftig auf die Pauke haut, ergibt das auch keine Weltmusik.
Ich verbleibe also mit der Hoffnung auf eine Strukturreform im argentinischen Fußballs. Es kann sich auch gerne ein Beispiel an jener genommen werden, die Anfang des letzten Jahrzehnt in Deutschland angestoßen und mittlerweile mit Erfolg umgesetzt wurde. Oder an jener mit bescheideneren Mitteln durchgeführten in Chile oder Kolumbien. Dazu müsste man aber auch mal von seinem hohen Ross herabsteigen und sich eingestehen, dass nicht nur die Nationalmannschaft, sondern auch die Liga der internationalen Konkurrenz in vielen relevanten Aspekten meilenweit hinterherhinkt.
Text: Christof Schulze Ameling
Dein Wort in die Gehörgänge der Offiziellen und Verantwortlichen!! Wenn die Basis nicht stimmt ist auch die Spitze stumpf. Andere Länder haben gewaltige Anstrengungen unternommen um den Nachwuchs zu fördern und auszubilden, auch in Ländern wo es keine richtigen Straßenfußballer mehr gibt, und sie sind erfogreich damit. Soetwas brauchen wir auch und da sind alle die im argentinischen Fußball tätig sind gefragt.
Das Niveau ist leider wirklich ziemlich tief, aber ohne Moos ist nix los, gilt halt leider auch hier.
Wobei dies sicherlich nicht der einzige Grund ist – allgemein die Klub- bzw. Verbandsführung sind grösstenteils Amateurhaft. Leider sehe ich keine Anzeichen, dass sich hier etwas ändert in naher Zukunft. Julio Grondona müsste im Minimum weg…
Wenigstens mal ein Artikel, der die Realität im argentinischen Fussball ansatzweise spiegelt. Wenn man noch die Gewalt bis in die untersten Ligen mit einbezieht, die kriminellen Machenschaften der Barrabravas, die vollständig fehlende Nachwuchsarbeit und die korrupten Funktionäre dann vervollständigt sich das Bild. Ich bewundere immer den Enthusiasmus, den die Schreiber dieser Blogs entwickeln. Der muss irgendwie noch aus den 80ern kommen.
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