Arsenal Sarandí Meister in Argentinien – der letzte Wunsch des Paten Grondona?

Einer der in Europa wohl unbekannteren Erstligisten Argentiniens hat die Clasura Meisterschaft 2012 durch einen 1:0 Sieg am letzten Spieltag für sich entscheiden können. Während die Fußballöffentlichkeit des Landes mit dem Abstiegskampf von San Lorenzo, dem Aufstiegskrampf von River Plate und Boca Juniors‘ Finalteilnahme in der Copa Libertadores beschäftigt ist, krönt FIFA-Vizepräsident Julio Grondona auf seine alten Tage sein Lebenswerk als Funktionär: Der von ihm und seinem Bruder 1957 im Süden von Buenos Aires gegründete Arsenal Fútbol Club erringt seinen ersten nationalen Meistertitel.

„Genießt den Triumph! Es ist alles für euch“, schluchzt voller Tränen Verbandspräsident Grondona nach dem sensationellen Titelgewinn über Radio Continental seinem Sohn Julito zu. Damit hätte wohl keiner gerechnet, vor über einem halben Jahrhundert in der Bar „Las 3 F“ in Sarandí. Dort, in der südlichen Peripherie der Hauptstadt Buenos Aires, trafen sich eine Handvoll ambitionierter junger Herren zur Gründung eines Fußballvereins. Zwei Brüder unter ihnen sollten diesen Klub in den Folgejahren persönlich prägen wie es weltweit wohl seinesgleichen sucht. Einer der beiden, Julio Humberto Grondona, führte sein Arsenal in den ersten zwanzig Jahren der Vereinsgeschichte als Präsident. Wenig später übernahm er über das Sprungbrett Independiente die Kontrolle über den argentinischen Fußballverband AFA.

Julio Grondona – festgenagelt auf dem Präsidentensessel. Aber auch im Arsenal-Trikot?

Seit 1979 bis heute besetzt er den Verbandsvorsitz am Río de la Plata und regiert seitdem ohne Opposition, ohne Gegenkandidaten, aber als einer der besten Alliierten von FIFA-Präsident Sepp Blatter in Südamerika. Parallel zur Karriereleiter des Paten kletterte der Familienverein Arsenal die Ligen des Landes hinauf, zunächst mit Julios Bruder Héctor als Präsidenten, seit 2001 mit seinem Sohn Julio Ricardo an der Spitze. Auch Tocher Liliana sitzt heute im Vorstand des Klubs, der 2002 wahrhaftig in die Primera División aufstieg und nach zwei Jahren mit Heimspielen in der Diaspora, sein auf Erstliganiveau renoviertes Stadion beziehen konnte. Umgetauft in Estadio Julio Humberto Grondona.

Zwar offensichtlich angelehnt an das große Londoner Vorbild, beschreibt arsenal im Spanischen aber auch eine Schiffswerft, wie sie im Viertel Sarandí früher zu finden war. Auf dessen Gelände entstand Anfang der 60er das erste Stadion des Klubs, der sich für die Vereinsfarben des himmlischen Blaus vom Racing Club und des höllische Rots von Independiente bediente. Die beiden Nachbarn aus der Vorstadt Avellaneda gehörten damals schon mit den zuvor erwähnten Teams zu den „fünf Großen“ der Hauptstadt, krebsen in der Gegenwart allerdings eher in unteren Tabellengefilden umher.

 

Grondonas  Patronage vom Chefsessel der AFA

Der Exodus junger Talente sowie institutionelle Misswirtschaft plagten im letzten Jahrzehnt Independiente, Racing und zahlreiche andere Klubs im wohl fußballverrücktesten Land der Welt. Finanzielle Engpässe bei den Vereinen bügelte Grondona dann gerne mit Geld aus der Verbandskasse aus, um sich im Gegenzug stillschweigende Loyalität auf dem Thron zu sichern. Unter seiner Führung wurde der Spielplan nicht mehr ausgelost, sondern hinter verschlossenen Türen verabredet. Ebenso werden die Referees der Erstligabegegnungen nicht mehr zufällig eingeteilt, sondern von einem AFA-Gremium bestimmt. Als es Ende der 80er Jahre zu einem Konflikt zwischen dem Fußballverband und der Schiedsrichtergewerkschaft (AAA) kommt, gründete Grondona einfach ein zweites Syndikat für Unparteiische (SADRA). „Das Beste, was ich je getan habe“, meinte Don Julio mal. Ein kluger Schachzug, um Druck auf die Mitglieder der AAA auszuüben.

Der Journalist Alejandro Fabbri stellte dieser Tage in der unabhängigen Tageszeitung El Perfíl fest, dass in den ersten drei Jahren nach dem Aufstieg von Arsenal in 114 Spielen nur sieben Platzverweise gegen das Team des Grondona-Klans ausgesprochen wurden – vier davon durch Horacio Elizondo, Schiedsrichter des WM-Finale 2006 und laut Fabri „einer der wenigen Ehremänner seiner Zunft“.

Kaum Fans, kaum rote Karten, aber sogar international erfolgreich

Ohne ernstzunehmende Fanszene und fernab der Titelseiten etablierte sich Arsenal de Sarandí im argentinischen Oberhaus. Dabei erfüllte das Team seinen Gründungsvätern den Traum, sich sportlich mit den Großen des Landes zu messen. 2007 gelang gar der Coup auf internationaler Bühne: El Arse gewann die Copa Sudamericana, vom Prestige etwa vergleichbar mit dem UEFA-Pokal. Ein bitterer Beigeschmack, der nicht in den Geschichtsbüchern auftaucht: Nach dem 3:2 Hinspielsieg im Azteken-Stadion in Mexiko gegen den Club América wurde erst am Tag des Rückspiels die sonst in Finalspielen der CONMEBOL nicht angewandte Auswärtstorregel festgelegt. El Arse verlor mit 1:2 und feierte im nicht mal ausverkauften Stadion von Racing vor größtenteils Sympathisanten anderer Vereinen den ersten Titel der jungen Vereinsgeschichte.

Sportlich durchaus meisterlich

Lisandro Lopez und Guillermo Burdisso. Sicherlich sieht man beide bald bei europäischen Klubs und in der Nationalmannschaft

Betreut wurde die Mannschaft damals von Gustavo Alfaro, ein moderner wie erfahrener Trainer, der 2010 nach Sarandí zurückkehrte. Derweil ist sportlich seiner Mannschaft auch in dieser Saison nichts vorzuwerfen. Die vermeintlichen institutionellen Hilfestellungen durch Grondona wurden in dieser Saison durch eine schlagkräftige Truppe genutzt. Im jungen, seit jeher mit ausgeliehenen Spielern gespickten Kader gilt derzeit die Innenverteidigung als das Sahnestück. Guillermo Burdisso, der kleine Bruder des ehemaligen Nationalspielers Nicolás, kehrte nach Startschwierigkeiten bei AS Rom auf Leihbasis nach Argentinien zurück. Kopfballstark und sicher im Stellungsspiel wie er ist auch der 22jährige Lisandro López an seiner Seite, der zudem als durchaus torgefährlich gilt. In der Offensive wirbeln die jungen Nicolás Aguirre und der Kolumbianer Carlos Carbonero über die Außen. Einen wahrhaftigen Torjäger hat die Mannschaft in diesem Turnier nicht, wie übrigens seit dem Abschied von Martín Palermo kaum ein argentinischer Verein, da wohl die besten drei Dutzend Goalgetter des Landes irgendwo zwischen Portugal und Russland unter Vertrag stehen.

Am vorletzten Spieltag konnte man mit einem 3:0 Auswärtssieg gegen den Mitkonkurrenten Boca Juniors die Tabellenspitze übernehmen. Derweil verlor einer der weiteren Titelaspiranten All Boys überraschend gegen Argentinos Juniors und musste zudem vier Rote Karten auf sich nehmen…

In Argentinien munkelte man seit Wochen, dass es der ideale Zeitpunkt für Arsenals Meisterschaft gewesen sei. Kein anderer Verein mit großer Lobby stand im Weg, zudem scheidet die älteste Generation der Grondonas so langsam dahin. Bruder Héctor Grondona, Gründungsmitglied und selbst Rekordtorschütze von Arsenal, starb im April. Vor wenigen Tagen musste der Don auch von seiner Ehefrau Abschied nehmen. Der AFA-Präsident selbst zeigte sich in den letzten Monaten immer seltener in der Öffentlichkeit und so sarkastisch es auch klingen mag: Nicht wenige Fußballfans in Argentinien hoffen, dass mit diesem Meistertitel für Arsenal auch seine Herrschaft dem Ende zugeht.

 

Viktor Coco

2 Antworten zu “Arsenal Sarandí Meister in Argentinien – der letzte Wunsch des Paten Grondona?

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